Vorschlag-Hammer:Unter der Zeitlupe

20 Minuten mit der tollen Schauspielerin Laura Linney - das klingt nach einem kurzen Gespräch, dehnte sich aber noch bevor es überhaupt begonnen hatte ins Endlose. Schuld war das Aufnahmegerät

Von Josef Grübl

Zeit ist relativ, das weiß jeder, dafür muss man kein Einstein sein. Was dem einen endlos vorkommt, ist für den anderen nur ein kurzer Flügelschlag der Geschichte. Das sieht man bei Interviews mit Hollywoodstars ganz wunderbar: Während die einen das Ganze als lästige Pflicht empfinden, als ewiggleiches Blabla in Zeitlupe (was sie sich aber niemals, wirklich niemals anmerken lassen), hat man als der Andere immer das Paulchen-Panther-Gefühl, dass jemand an der Uhr gedreht haben muss und die hart verhandelten Gesprächsminuten nun wirklich nicht schon vorbei sein können. Völlig anders erging es mir beim Gespräch mit Laura Linney in Berlin: War ich anfangs noch sehr erfreut ob der Aussicht, 20 Minuten mit dieser wirklich tollen Schauspielerin sprechen zu können, dehnte sich unser Gespräch schon bald ins Endlose - und das, bevor es überhaupt begonnen hatte.

Schuld daran war natürlich ich, beziehungsweise das Ding, mit dem ich meine Interviews aufnehme. Denn ausgerechnet an diesem wichtigen Tag entschloss es sich zu streiken, die digitale Sanduhr im Display nahm sich all die Zeit, die man in solchen Momenten eben nicht hat. Ein paar Smalltalk-Floskeln später (über Berlin, das Wetter und die Frisur von Donald Trump), versandete mein Interview immer mehr im digitalen Nirwana. Da half auch ihr gut gemeintes "I feel so sorry for you" wenig weiter. Da Frau Linney aber nicht nur Hollywood-Profi ist, sondern auch magische Hände hat, nahm die Story aber doch noch eine gute Wendung: "Let me touch it", sagte sie nach vier endlosen Minuten, die sich in etwa so dehnten wie die Uhren auf Salvador Dalis Bildern. Und just als sie das Gerät in den Händen hielt und sanft streichelte, verschwand die Sanduhr und das Interview konnte beginnen. Jetzt haben wir uns zwar nur noch 15 Minuten über The Dinner unterhalten, was aber nicht ganz so schlimm ist, da ein Profi wie Frau Linney erstens auch in einer Viertelstunde viel Wissenswertes in mein Aufnahmegerät sprechen kann. Zweitens ist der gerade angelaufene Film ohnehin nicht so gut, zumindest nicht so gut wie mein Linney-Lieblingsfilm "Der Tintenfisch und der Wal".

Wobei die Beurteilung von Filmen ja auch so eine Sache ist, die man relativ sehen sollte. Deswegen empfehle ich in dieser Vor-Filmfest-Zeit nur einen einzigen, dafür aber wirklich tollen aktuellen Kinofilm - natürlich ganz subjektiv gesehen: Mike Mills' Jahrhundertfrauen ist einfach wunderbar, mit der noch viel wunderbareren Annette Bening, die das Glück hatte, noch nicht mit mir beziehungsweise meinem Aufnahmegerät Bekanntschaft zu machen. Apropos Technik: Nach dem Interview mit Laura Linney erklärte ich ihr, dass mich das Gerät in zwölf Jahren noch nie im Stich gelassen habe. "Twelve years, really?" Ihr Blick sprach Bände. Nun ja, auch in Sachen Technikmanagement ist Zeit eben relativ.

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