Vorschlag-Hammer:Rätselhaft

Gerade war ich in zwei Konzerten, die beide wenig mit dem zu tun hatten, worüber ich normalerweise schreibe. Das eine war der Tournee-Abschluss von Tocotronic, und es war rätselhaft schön

Von Egbert Tholl

Gerade war ich in zwei Konzerten, die beide wenig mit dem zu tun hatten, worüber ich normalerweise schreibe. Wobei diese Aussage obsolet wird, dadurch, dass ich nun dies tue, darüber schreiben. Das eine war der Tournee-Abschluss von Tocotronic, und es war rätselhaft schön. Selten habe ich eine sympathischere (Polit-)Popveranstaltung erlebt als diese, obwohl das Konzert im Zenith stattfand, eine nicht gerade für ihre heimelige Atmosphäre bekannte Halle. In dieser wirkte Sänger Dirk von Lowtzow auf reizende Weise abgerockt, wie man halt so dreinschaut als Sänger am Ende einer Tournee. Das tat aber seiner Unternehmungslust keinen Abbruch, nein, die wollten gar nicht aufhören und bewiesen am Ende nach dem Ende, dass man immer noch die allerschönsten Rückkopplungen produzieren kann, wenn ein Konzert schon längst aus ist.

Das andere Konzert war das von Bianca Casady & The C.I.A. Wenn Bianca mit ihrer Schwester Sierra zusammen Musik macht, heißen die beiden CocoRosie und verzaubern. Mit der CIA zusammen nimmt Biancas Art der Verzauberung dann eher psychotische Züge an. Dann errichtet sie einen hermetischen Kosmos, einen Jahrmarkt der Absonderlichkeiten, eine Video-Konzert-Installation, die man vielleicht am ehesten als verschrobenen Albtraum eines Mitglieds der Tiger Lillies beschreiben kann, aber auch nur, wenn dieses Mitglied gerade einen seltsamen Schub hat. Was für eine Art von Schub kann man allerdings auch nicht so recht sagen. Ein akrobatisches Derivat dieser Ästhetik kann man nun übrigens bei Tollwood erleben, im nichtsubventionierten Raum also, mit dem Cirque Éloize.

Es war also seltsam, was sich da in der Spielhalle der Kammerspiele ereignete. Für jene Zuschauer, die quasi in Frau Casadys Kopf hausend das Konzert anschauten, war es das höchste. Für die anderen ein gewisses Rätsel seiner eigenen Existenz, das zu lösen mir allerdings keine Zeit bleibt: Ich fliege jetzt den Philharmonikern hinterher, erst nach Seoul, dann nach Japan, einem ganz anderen Rätsel auf der Spur: Valery Gergiev.

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