Vorschlag-Hammer:Neues aus Neverland

Peter Pan will nicht erwachsen werden - aus Angst vor der Enttäuschung, aus Angst vor Eltern, die Kinder verlassen oder vergessen und dem flügge gewordenen Nachwuchs für immer die Fenster verschließen

Von Eva-Elisabeth Fischer

Nicht erwachsen werden wollen, weil dann die unbeschwerten Spiele ein Ende haben, das wünschen sich so manche aus verschiedenen Gründen. Oskar Matzerath, der mit drei Jahren aufhört zu wachsen, betrachtet die Welt, auch aus Protest und Verweigerung, aus der Perspektive eines Kindes und wird daran verrückt. Seine Schreie, seine Blechtrommel, sie lärmen an gegen die gehabten Gräuel des Zweiten Weltkriegs und die Altvorderen. Peter Pan hingegen will nicht erwachsen werden aus Angst vor der Enttäuschung, aus Angst vor Eltern, die Kinder verlassen oder vergessen und dem flügge gewordenen Nachwuchs für immer die Fenster verschließen.

"Peter Pan" wurde als Roman und als Bühnenstück geschrieben im Jahr 1904 von dem schottischen Schriftsteller James Matthew Barrie, der selbst acht Geschwister hatte und sich späterhin der Waisen eines Freundes annahm. "Der Schrecken meiner Kindheit war, daß ich wußte, es würde eine Zeit kommen, in der ich die Spiele würde aufgeben müssen. . . ich fühlte, daß ich das Spielen würde heimlich fortsetzen müssen", schrieb er. Sein Peter Pan kann sich buchstäblich im Fluge in ein Niemandsland begeben, auf zauberische Inseln, wo Feen und Indianer seine "verlorenen Jungs" behüten und ein Krokodil ihm hilft, seinen Widersacher, den bösen Käpt'n Hook, unschädlich zu machen.

Zu seinen Helfern gehört auch die brave Bürgertochter Wendy samt ihren beiden kleinen Brüdern. Wendy soll die Ersatzmutter spielen für die Verwaisten. In Erich Kästners Übersetzung wird "Peter Pan" zum Lehrstück über die Segnungen der bürgerlichen Familie und hört sich viel schlimmer an, als es die Erwachsenenwelt Barries dank seiner literaturaffinen Mutter je war. Bei Kästner herrscht ein Bürohengst und Chauvi über eine dümmlich gluckende Gebärerin samt ihrer Brut. Da kann man nur abhauen. Paul Verhoeven, der Regisseur einer "Peter Pan"-Verfilmung in Pappkulissen aus dem Jahr 1962, relativiert die spießige Milieustudie immerhin mit listig-subversiven Pointen. Heutigen Kindern braucht man so was nicht vorzusetzen. Da gefiele ein anderes Niemandsland wahrscheinlich besser - Michael Jacksosn kunterbunte Neverland Ranch.

Das ewige Kind Michael Jackson und der Schriftsteller James Matthew Barrie sind Brüder im Geiste, auch haftet ihnen bis heute derselbe Vorwurf an - nämlich der der Pädophilie. Das tut dem Faszinosum Peter Pan keinen Abbruch, Robert Wilson ist ihr just am Berliner Ensemble erlegen. Und demnächst hat "Peter Pan" am Gärtnerplatztheater als Ballettmärchen Premiere (3. bis 10. Mai im Cuvilliéstheater), inszeniert und choreografiert von Emanuele Soavi. Weil nur tanzen schöner ist als fliegen, könnte das ganz ohne Kästners misogyne Auslassungen ein hinreißender Abend werden. Eine Einführungsmatinee zu "Peter Pan", zum Regie-Konzept und der Musik von Han Otten gibt es am 24. April, elf Uhr, im Akademietheater.

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