Vorschlag-Hammer:Nah dran

Lesezeit: 1 min

Früher versuchten Fans bei Konzerten oder Filmpremieren kreischend ihren Idolen nahe zu kommen.n Künstlerausgängen von Theatern und Opern ein Autogramm und einen liebevollen Blick zu ergattern. Im heutigen Selfie-Zeitalter reicht es den allermeisten, sich selbst zusammen mit dem Objekt ihrer Begierde vor die Smartphone-Linse zu kriegen

Von Evelyn Vogel

Was wären wir bloß ohne Freundschaft und menschliche Nähe? Nicht nur in persönlichen Beziehungen, auch im gesellschaftlichen Miteinander? Überraschenderweise hat Donald Trump auch zu diesem Thema kürzlich eine Steilvorlage geliefert. So hat er derart intensiv verbal mit einem Land gekuschelt, dass die Umworbene (Taiwan) wie auch der Nebenbuhler (China) sich verdutzt die Augen rieben angesichts dieser Charme-Offensive. Auch im Kulturbetrieb wird permanent um Nähe gebuhlt. Früher versuchten Fans bei Konzerten oder Filmpremieren kreischend ihren Idolen nahe zu kommen. Im heutigen Selfie-Zeitalter reicht es den allermeisten, sich selbst zusammen mit dem Objekt ihrer Begierde vor die Smartphone-Linse zu kriegen.

Mit welch liebevoller Distanz Albert Renger-Patzsch zu seiner Zeit die Ruhrgebietslandschaften im Zuge der Neuen Sachlichkeit ganz nah an den Betrachter heranzuholen vermochte, ist vom 16. Dezember an mit einer Werkgruppe aus der Stiftung Ann und Jürgen Wilde in der Pinakothek der Moderne zu erleben. Nähe zwischen Publikum und Künstler entsteht oft bei den Weihnachtsausstellungen. Dazu laden unter anderen die BBK-Mitglieder in die Galerie der Künstler ein (Eröffnung 13. Dezember, 19 Uhr). Eine besondere freundschaftliche Nähe zwischen einem Künstler und einer Sammlerin bestand zwischen Michael Buthe und Ingvild Goetz. Mehr dazu kann man als Besucher der Sammlung Goetz in Oberföhring am 10. Dezember um 11.30 Uhr bei einer Führung erfahren.

Auf echte Empathie muss vielleicht unsere zukünftige automatisierte Gesellschaft verzichten. Einen Ausblick darauf, was auf uns zukommt, will die Ausstellung Touch deeper zur Digitalisierung unseres Lebens geben, die am 9. Dezember um 19 Uhr in der Lothringer 13 eröffnet. Nicht vorhandener Blickkontakt zum nicht vorhandenen Fahrer im selbstfahrenden Auto - daran mag man sich ja noch gewöhnen. Wo aber bleibt die menschliche Nähe, wenn dereinst gefühllose Pflege-Roboter uns und unseren Lieben die Tränen der Einsamkeit wegwischen?

© SZ vom 09.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: