Vorschlag-Hammer:Musikerlebnis Taxi

Neulich habe ich nachts in Nürnberg ein Taxi genommen. Aus den Lautsprechern des Mercedes' erklang Strawinskys "Le sacre du printemps"

Von Oliver Hochkeppel

Neulich habe ich nachts in Nürnberg ein Taxi genommen. Ich bin kein großer Taxifahrer. Obwohl mir mancher ein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis attestiert, mag ich zwanghafte Gesprächssituationen nicht. Sitze ich alleine neben dem Fahrer, habe ich immer das Gefühl, ich müsse irgendetwas sagen, die "Situation auflockern". Die Fahrt in Nürnberg aber hätte ruhig länger dauern können: Aus den Lautsprechern erklang nämlich Strawinskys "Le sacre du printemps". Nach einiger Zeit sagte ich, es sei mir lange nicht mehr passiert, dass ich im Taxi Strawinsky gehört hätte. Da antwortete der Fahrer in tiefstem Fränkisch und nicht ohne Stolz in der Stimme: Das wäre mir wohl eher noch nie passiert, denn er sei sicher der einzige seiner Zunft, der solche Musik höre. Es klang ein bisschen nach Oscar Wildes berühmtem Spruch: "Ich habe einen ganz einfachen Geschmack, ich bin immer mit dem Besten zufrieden."

Diese etwas dünkelhafte Art von exklusivem Geschmack hat man mir, dem "Jazzfuzzi", auch schon unterstellt, zuletzt, als ich es wagte, die abgetakelten Herren von AC/DC live nicht so toll zu finden, wie sich das gehört. Nach längerer Selbstprüfung behaupte ich aber, dass das nicht stimmt. Klar, wenn man sich lange beruflich mit Musik beschäftigt hat, dann ist man nicht mehr so schnell zu beeindrucken, dann hat man vielleicht einen differenzierteren, einfach durch Erfahrung ausgebildeten Geschmack. Aber ich mag nicht nur nach wie vor jede Art von Musik (solange sie gut ist), ich bin auch umso glücklicher, je mehr Leute das mögen, was mir gefällt. Genau da wird es schwierig, denn gerade die wirklich tollen Sachen haben es heutzutage nicht leicht, ihr Publikum zu finden.

So habe ich gerade auf dem Jazzfestival Südtirol die Flat Earth Society entdeckt, ein belgisches 14-Mann-Orchester, das das zugleich witzigste wie musikalisch überzeugendste Programm spielt, das ich seit Hildegard lernt fliegen gesehen habe. Für mich vollkommen neu - obwohl die Truppe seit 15 Jahren existiert und 15 CDs (!) auf europäischen wie amerikanischen Labels veröffentlicht hat. Am Samstag, einen Tag nach dem Bozener Auftritt, waren sie in der Unterfahrt. Dort habe ich sie, wie wohl die meisten von Ihnen auch, verpasst. Beim nächsten Mal ist das ein Pflichttermin. Rechtzeitig aber der Hinweis auf einige beeindruckende Stimmen, die in den nächsten Wochen die Entdeckung lohnen. Am 11. Juli zum Beispiel die junge australische Sängerin und Pianistin Sarah McKenzie, vielleicht eine neue Diana Krall; tags darauf dann beim neuen "AZ Jazz Sunday" die imponierende Südafrikanerin Somi (beide jetzt in der Unterfahrt) und am 26., zum Abschluss des Jazz Sommers im Bayerischen Hof, die äthiopisch-israelische Ethno-Soul-Newcomerin Ester Rada. Obwohl alle drei durchaus in den Pop hinüberlappen, wird man sie wahrscheinlich nie im Taxi hören.

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