Vorschlag-Hammer:Keine Frage des Alters

Vor den Höhlen in der Schwäbischen Alb saßen einst vielleicht sogar der Neandertaler und der neue Typus homo sapiens sapiens nebeneinander und haben sich bei Sonnenuntergang ein Abendliedchen auf Gänsegeierknochen geblasen

Von Harald Eggebrecht

Wahrscheinlich haben schon Menschen der Art homo erectus Musik gemacht, das heißt gesungen, getanzt, getrommelt, Flöte geblasen und einen Darm über einen Hohlkörper gespannt. Vielleicht über einen leeren Schildkrötenpanzer, so wie es Kirk Douglas als Ned Land in der Verfilmung von Jules Vernes "20 000 Meilen unter dem Meer" macht und sich so eine Ukulele bastelt, die er allerdings auch noch zum Transport von Geschmeide benutzt. Sicher wissen wir, dass in oder vor den Höhlen in der Schwäbischen Alb geflötet wurde. Da saßen vielleicht sogar der Neandertaler und der neue Typus homo sapiens sapiens nebeneinander und haben sich bei Sonnenuntergang ein Abendliedchen geblasen auf kunstgerecht hergerichteten Gänsegeierknochen.

Wenn an diesem Pfingstwochenende in Regensburg wieder die Tage Alter Musik stattfinden (noch bis zum 16. Mai), dann klingt die Ankündigung, dass Musik aus fünf Jahrhunderten geboten wird, für viele sehr retrospektiv. Aber: "Das Wesen der Musik ist ihr Verschwinden", wie Sergiu Celibidache gesagt hat, doch in dieser tiefen und wahren Erkenntnis steckt auch, dass die Musik wieder erscheinen kann in Gestalt einer Aufführung. Natürlich kann die verzerrend sein, kann misslingen oder kann richtig daneben gehen. Da hilft dann auch keine "historisch informierte Praxis", denn, noch einmal Celibidache: "Sie können auch auf historischen Instrumenten dumm musizieren". Dennoch bleibt das Wunder immer möglich, dass jede Musik, und sei sie noch so vergangen, wieder zum Leben erweckt werden kann. Und dann ist sie nicht alt, sondern so jung und gegenwärtig wie der Moment, in dem sie gespielt wird.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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