Vorschlag-Hammer:Grenzverkehr

Allein in bayerischen Theatern gibt es am Wochenende etwa 23 Saisoneröffnungspremieren - da kann man doch nur in die Schweiz flüchten

Von Egbert Tholl

Jetzt geht die Saison wieder los, und schon befallen einen erste Momente der Schwermut, darin begründet, dass man nicht bei allen Premieren zur selben Zeit sein kann. Allein in Bayern gibt es an diesem Wochenende etwa 23 Saisoneröffnungspremieren, da bleibt einem nur ein Mittel: weg. Das Weg, womit ich mich der Entscheidung entziehe, welche Aufführung ich mir anschauen sollte, führt mich über die Grenze in die Schweiz. Denn dort hat unweit eben jener Grenze "Hamlet" Premiere, und den Hamlet spielt eine Schauspielerin, die ich sehr verehre, da ist mir dann wurscht, wer sonst noch irgendwo irgendetwas macht. Kann man ja alles nachholen, was ich auch versuchen werde.

Am Sonntag könnte ich zurück sein und nach Regensburg fahren. Dort hat übrigens zeitgleich mit "meinem Hamlet" ein "Hamlet" Premiere, aber "mein Hamlet" geht natürlich vor. Aber dann der Sonntag. Da findet ebenfalls in Regensburg die deutschsprachige Erstaufführung eines Stücks mit einem Titel statt, der allein schon Großes verspricht: "Hungaricum. Eine europäische Grenz-Groteske oder Gulasch ist auch bloß eine Suppe". Geschrieben haben es die Brüder Presnjakow, Oleg und Wladimir, die auch schon gemeinsam einen Roman mit dem schönen Titel "Tötet den Schiedsrichter" veröffentlicht haben, beim Heidelberger Stückemarkt vertreten waren und in Moskau offenbar dafür sorgen, dass sich etwas rührt in der dortigen Theaterszene.

Das "Hungaricum" - als solches bezeichnet man gemeinhin Kulinaria ungarischer Provenienz wie etwa Salami - kam 2010 in Vilnius heraus und versammelt eine Reihe aberwitziger Szenen an der österreichisch-ungarischen Grenze. An dieser Grenze werden die Reisenden durchsucht, wird nach Drogen geforscht oder auch nach festen Bestandteilen im flüssigen Reiseproviant, also in der Suppe. Die Suppe ist nicht einfach eine Suppe, sie ist eine Art europäische Ursuppe, die vielleicht helfen könnte zu überwinden, dass Menschen dazu neigen, anhand teils seltsamer Urmythen sich selbst und die anderen zu charakterisieren und hübsch voneinander abzugrenzen. Im Ungarn dieser Tage ist man in dieser Hinsicht ja durchaus vorne dabei. Nach Deutschland schickt man ein Bartok-Festival, das man vielleicht als eine Art Werbebotschaft des völkisch närrischen Staatschefs Viktor Orban begreifen kann, während an der südlichen Grenze bewaffnete Bürgerwehren dafür sorgen, dass ja kein Flüchtling mehr ins Land kommt, eine Haltung, die ein Referendum am 2. Oktober weiter festigen soll. Hungaricum!

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