Vorschlag-Hammer:Galle für alle

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Viel Frust als Wut befällt mich derzeit, wenn ich an der Werbung einer Brauerei vorbeifahre, die mit lockeren bayerischen Sprüchen eigentlich grenzenlose Toleranz zur Schau stellen will. "Nix für Preißn" steht da zu lesen, was, wie stets in solchen Fällen, wahnsinnig lustig gemeint ist

Von Antje Weber

Wer will schon ein Wutbürger sein? Solche schlichten Zuschreibungen mag ja kaum jemand mit sich selbst in Verbindung bringen. Doch wenn ich derzeit durch die Stadt radele und die Plakate betrachte, kommen immer wieder gallige Gefühle in mir hoch. Provokationen wie "Bunte Vielfalt? Haben wir schon" oder "Neue Deutsche? Machen wir selber" von Seiten einer Partei, die mir nicht in die Tastatur kommt, sollen natürlich auch genau dies erreichen: Provokation um jeden Preis. Und da radelt man nun weiter mit seiner Wut. Was tun?

Mehr Frust als Wut befällt mich, wenn ich an der Werbung einer Brauerei vorbeifahre, die mit lockeren bayerischen Sprüchen eigentlich grenzenlose Toleranz zur Schau stellen will. "Nix für Preißn" steht allerdings auch dabei, wie stets in solchen Fällen wahnsinnig lustig gemeint. Doch wer ist denn eigentlich "a Preiß" in dieser Stadt der vielen Zuagroastn - eine gebürtige Berlinerin, die seit 30 Jahren hier wohnt, wird zweifellos bis zum Lebensende einer bleiben, logisch, und soll bitte ein anderes Bier trinken. Kein Problem, handelt es sich doch um eine Marke, die selbst mein Großvater, ein gebürtiger Münchner, nicht bestellen mochte - weil er befürchtete, dass ihm beim Aussprechen das Gebiss aus dem Mund fliegt. Eine Marke, die nebenbei inzwischen zu einem Bier-Verbund gehört, bei dem ein niederländischer Konzern eine wichtige Rolle spielt. Tja, da hilft wohl nur ein Satz, der seit neuestem sogar Postkarten ziert: "Des deaf ma ois ned so eng seng." Vielleicht hilft auch ein Besuch des Ander Art Festivals an diesem Samstag, 23. September, auf dem Odeonsplatz - bei diesem Festival ist jede Art von Abgrenzung zwischen lokal und global einfach nur egal.

Ja, wenn es nur immer so einfach wäre. Hier die Guten, dort die Bösen. Hier das freudige Miteinander, dort die dumpfe Diskriminierung. In dem fein differenzierenden Buch "Im Herzen der Gewalt" zum Beispiel, das der junge französische Bestseller-Autor Édouard Louis am 26. September in den Kammerspielen vorstellt, geht es neben vielem anderen auch um Rassismus. Der Autor erzählt von einer Vergewaltigung, ja einem Mordversuch, den er bei der Pariser Polizei anzeigt. Bei der Personenbeschreibung sagen die Polizisten sofort "maghrebinischer Typus", und sie wiederholen diese Zuschreibung immer wieder: "maghrebinischer Typus, maghrebinischer Typus". Édouard Louis ärgert sich unglaublich über diesen "reflexhaften Rassismus". Und merkt umso erschrockener, dass er selbst in den Wochen nach der Tat zeitweise ängstlich den Blick senkt, wenn ein Schwarzer oder Araber seinen Weg kreuzt: "Ich war zum Rassisten geworden." Die Grenzen sind eben fließend, in jedem von uns; und auch der Mutbürger (noch so eine bescheuerte Zuschreibung) ist nur einen Buchstaben vom Wutbürger entfernt. Welchen Gefühlen, welchen Gedanken geben wir mehr Raum? Wir haben, nicht nur an diesem Sonntag, die Wahl.

© SZ vom 22.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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