Vorschlag-Hammer:Fort und zurück

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Kultur, dieser ach so unterschätzte "weiche Standortfaktor", ist in Wahrheit die härteste menschliche Währung. Bücher, Filme, Musik - das öffnet einem den Weg zur Welt und zu sich selbst

Von Oliver Hochkeppel

Ich fahre immer noch wahnsinnig gerne weg. Nicht zuletzt deshalb, weil es so schön ist, wieder heimzukommen. Kairo, Kempten, Kössen - heuer bin ich ganz gut unterwegs gewesen. Und es muss auch nicht Syrien, der Südsudan oder die South Bronx sein, um hinterher zu erkennen, wie unfassbar wohlhabend, sicher, kulturell und geradezu gesegnet unser München ist. Umso auffälliger ist dann nach einer Heimkehr, dass so viele so griesgrämig und sorgenvoll wirken. Es wird gegrantelt und gejammert, sich über alles und jeden beklagt, der nächstbeste Radler angehupt und am Sonntag AfD gewählt.

Ganz objektiv, also materiell betrachtet, geht es diesen Nörglern besser als dem großen Rest der Welt. Trotzdem ist da dieses dumpfe Unbehagen: Irgendetwas fehlt ihnen, sie wissen nur nicht, was. Ich habe da eine Vermutung: Es ist nicht das neueste iPhone oder der neue X5, es ist schlicht Kultur. Denn dieser so unterschätzte "weiche Standortfaktor" ist in Wahrheit die härteste menschliche Währung. Bücher, Filme, Musik - das öffnet einem den Weg zur Welt und zu sich selbst. Das Cécile Verny Quartet zum Beispiel. In der Elfenbeinküste geboren, in Frankreich aufgewachsen, vor 25 Jahren dann in Freiburg gelandet, gehört Verny seither zu den besten Sängerinnen der deutschen Jazzszene. Als eine der ersten wagte sie den Brückenschlag zwischen englischen, französischen, deutschen und afrikanischen Texten und Stilen. Mit ihrem Partner und Bassisten Bernd Heitzler, dem Pianisten Andreas Erchinger und Drummer Lars Binder hat sie seit langem ihre Stammformation gefunden, mit der sie nun wieder die Unterfahrt bezaubert (22. September).

Einflüsse und Anregungen aus einer anderen Ecke des Globus bringt Le-Thanh Ho ins Einstein Kulturzentrum (30. September): aus Berlin. Dabei ist Ho eigentlich Münchnerin, sie wuchs hier als Tochter vietnamesischer Kriegsemigranten auf, fing schon in jungen Jahren als Kolumnenschreiberin, Songtexterin und Frontfrau einer Punk-Band an. Nach diversen Ausbildungen lebt sie jetzt in Berlin, wo sie mit dem Bassisten der Einstürzenden Neubauten, Alexander Hacke, ihr zweites Soloalbum ".staub" produziert hat. Poetisch-rezitative, von ihr selbst minimalistisch mit Gitarre und Klavier begleitete Hörspielelemente kontrastieren faszinierend mit dem Freejazz ihrer Berliner Begleiter. Eine Heimkehr der anderen Art also.

© SZ vom 21.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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