Vorschlag-Hammer:Fluchtgedanken

Es gibt gute Gründe nach, aber wenige aus München zu fliehen. Es sei denn, man ist Radler und muss mit eisverkrusteten Wegen kämpfen

Von Michael Zirnstein

Oft das Leidigste an Kulturveranstaltungen ist die Garderobenschlange. Daher nehme ich gerne Jack' und Pack mit in den Saal und bin so zum Schrecken der Platzeinweiser geworden. So wies mich neulich eine junge Frau im Deutschen Theater - offensichtlich direkt von der Lufthansa hierher gewechselt - an, mein Handgepäck gut unter dem Klappsitz zu verstauen: "Wegen der Fluchtgefahr." Das ließ mich stutzen: Würde das Stück, der Streetdance-Ballett-Mix "Nutcracker Reloaded", so anstößig oder Furcht einflößend sein, dass man mit dem panikartigen Davonstürmen der Zuschauer rechnete?

Nein, schon klar, sie meinte wohl, ich solle bitte den Fluchtweg freihalten. Das ist wichtig. Man möge alle Menschen, die sich aus Not oder Gefahr retten wollen, ziehen lassen, wohin sie wollen. Abathar Kmash und Ehab Abou Fakhir mussten erst von Syrien aus den beschwerlichen Marsch samt Violina und Oud-Laute über die Balkanroute schaffen, ehe sie in München ankamen. Hier trafen die beiden an der Musikhochschule in Damaskus Ausgebildeten den marokkanischen Sänger und Trommler Muhsim Ramdan. Als das Trio Jisr (Brücke) schlagen sie nun einen berührenden Bogen von klassischer arabischer Musik über Wagner-Werke bis hin zu Zeitgenössischem. Nach Konzerten mit der Express Brass Band, Embryo, Konstantin Wecker und anderen Lokalgrößen sind Jisr am 11. Februar solo in der Black Box im Gasteig zu hören.

Es gibt gute Gründe nach, aber wenige aus München zu fliehen - es sei denn, man ist Radler und muss mit eisverkrusteten Wegen kämpfen. La Brass Banda hatten zwar vorwiegend ein künstlerisches Anliegen, sich mehrere Wochen lang aus dem Staub zu machen. Aber schaut man sich die Temperaturen der Spielorte ihrer "All Around The World"-Tour an, möchte man Bayerns populärster Blaskapelle am liebsten hinterherreisen. Nach 20 Grad in Auckland (29. Januar, Hallertau Brewery, Eintritt frei) geht es nach Honolulu (17 Grad), San Francisco (12 Grad), zum "Superbowl"-Konzert in Houston (15 Grad), über Mexiko (solange keine Mauer sie hindert; 24 Grad) nach Rio de Janeiro, wo sie bei 30 Grad zwei Konzerte spielen, ehe sie rechtzeitig wieder nach München fliegen zum Gastspiel bei der Feierwoche "15 Jahre Hardrock Café am Platzl", zur Plattentaufe des neuen Albums, zum eigenen Konzert "10 Jahre La Brass Banda" in der Olympiahalle (4. März) - und zum Fasching.

Für viele ist der ja ein Grund zum Davonlaufen. Ich stürze mich hinein. Nach dem - übrigens super auszusitzenden - "Nutcracker" lädt das Deutsche Theater zu Spitzen-Tänzen wie dem Ball total (3.2.), das Künstlerhaus zum Gauklerball (3.2.), der Löwenbräukeller zum Ball der Damischen Ritter (24.2.) oder der Bayerische Hof zum Carneval in Rio (25.2.). Bei Kostümpflicht oder Abendgarderobenzwang gibt es für Garderobenschlangen-Phobiker nur ein Problem: Wohin mit der Straßenkleidung?

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