Vorschlag-Hammer:Die Wucht der letzten Worte

Das Schreiben von Nachrufen ist eine undankbare Aufgabe. Viele Leser sehen den letztmals zu Ehrenden nicht ausreichend gewürdigt, und als Journalist plagt einen das Gefühl, Wichtiges vergessen zu haben

Kolumne von Karl Forster

Es gibt wenige Dinge im Leben eines Journalisten, die unangenehmer sind als die meist sehr plötzlich aufscheinende Pflicht, einen Nachruf zu schreiben. Vor allem dann, wenn es sich bei der verblichenen Person um eine im weiteren Sinn kulturell relevante handelt. Zum einen kann man sicher sein, bei glühenden Verehrern heftige Wutreaktionen auszulösen, weil man das künstlerische Gewicht des letztmals zu Ehrenden zu wenig gewürdigt habe, zum anderen plagt einen ja auch selbst das schlechte Gewissen, Wichtiges im Leben des gerade wortreich gelobten Menschen eventuell vergessen zu haben. Mich hat es in jüngster Zeit gleich zweimal erwischt, zunächst mit Abi Ofarim, der mir vor allem als Begleitstimme zu seiner so entzückenden einstigen Frau Esther in Erinnerung war. Und dann mit Jürgen Marcus, von dessen Ableben ich über Bayern 5 erfuhr, wonach ich beschloss, sehr, sehr langsam in die Redaktion zu fahren in der Hoffnung, der Auftrag, diesen Künstler entsprechend zu würdigen, sei dann bereits vergeben. Vergeblich.

Nach vollbrachter Tat machte ich einen Fehler: Ich suchte im Netz nach Liedern von Jürgen Marcus, die weit nach dessen Mitklatsch-Hit "Eine neue Liebe ..." entstanden sind. Nun, es sind keine Lieder, die mir gefallen. Aber Jürgen Marcus konnte richtig gut singen. Was wäre aus ihm geworden, hätte er andere Songs für sich gefunden. Aber jetzt ist es zu spät.

Sollte der österreichische Volksrocker (Selbsteinschätzung) Andreas Gabalier irgendwann Besuch vom Boandlkramer bekommen, melde ich mich krank. Der füllt zwar an diesem Samstag das Olympiastadion. Aber das reicht für mich noch nicht für besinnliche Gedanken angesichts von Texten wie "Do wo die Dirndl no amoi im Dirndl tonzn gehen / Und die Buam no in da Ledahosn stehn." Aber der ist ja noch jung, auch wenn die Reime nicht so klingen.

Ganz anders wäre die Situation, sollte Mister America Kris Kristofferson vom Truck des Lebens steigen. Er wird am 22. Juni immerhin 82 Jahre alt, spielt aber drei Tage vorher noch im Circus Krone. Da meldete ich mich nicht nur krank, sondern todkrank. Nicht aus Mangel an Sympathie für den Mann, der "Me & Bobby McGee" geschrieben hat, sondern aus Angst vor einem Chefredakteur, der als größter lebender Kris-Kristofferson-Fan und -Kenner angesichts einiger Gedenkzeilen meinerseits über diesen Künstler sich ganz fürchterlich dergestalt echauffieren würde, dass da wohl mindestens ein Ignorant, wenn nicht gar ein Vollpfosten am Werke gewesen sein müsse.

Aber jetzt noch ein ganz echter und sehr ernst gemeinter Tipp für Liebhaber exzellenten Swings: In der Bar Gabányi, jenem wunderbaren Ort donnerstagabendlichen Musikgenusses, gastiert an eben diesem, dem 14. Juni, die Sängerin und Pianistin Champian Fulton, geboren in Oklahoma, aber längst mehr als nur Geheimtipp der New Yorker Jazzszene. Sie wird begleitet von Martin Zenker am Bass und Xaver Hellmeier an den Drums. Möge die Pflicht, einen Nachruf über Frau Fulton zu schreiben, noch hundert Jahre auf sich warten lassen!

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: