Vorschlag-Hammer:Die Kraft des Hertzko Haft

Ein trauriger November. Da nutzt das ganze schöne Wetter nicht viel. Und vermutlich ist es dem seelischen Gleichgewicht auch nicht wirklich zuträglich, wenn man nach Augsburg fährt, sich in den Hoffmannkeller setzt und den "Boxer" ansieht

Von Sabine Reithmaier

Ein trauriger November. Da nutzt das ganze schöne Wetter nicht viel. Vermutlich ist es dem seelischen Gleichgewicht auch nicht wirklich zuträglich, wenn man nach Augsburg fährt, sich in den Hoffmannkeller setzt und den "Boxer" ansieht. Trotzdem sollte man es tun und über die perfiden Grausamkeiten nachdenken, zu denen Menschen fähig sind.

In dieser Koproduktion des Theaters Augsburg mit dem Jungen Theater wird die "Wahre Geschichte des Hertzko Haft" erzählt. Der polnische Jude (1925 bis 2007) überlebte die Vernichtungslager nur, weil er in brutalen Boxkämpfen andere Gefangene niederschlug. Ursprünglich hatte Haft an den Verbrennungsöfen in Auschwitz gearbeitet. Als er dort über dieser entsetzlichen Tätigkeit physisch wie psychisch zusammenbrach, rettete ihn ein SS-Wachmann, weil er ihn zum Boxen geeignet fand und ihn deshalb in ein Außenlager versetzte. Die Kämpfe waren ein probates Mittel der SS gegen die Langeweile im Lager. Für die boxenden Insassen dagegen ging es um Leben oder Tod: Wer verlor, wurde ermordet. Haft gewann immer, insgesamt 76 Mal, bevor ihm während der letzten Kriegstage auf dem Todesmarsch die Flucht gelang. Dabei tötete er ein wehrloses altes Ehepaar, das ihn beherbergte. Wirklich kein Held, mit dem man sich identifizieren möchte.

Nach dem Krieg wanderte er nach Amerika aus, geriet dort in die Hände von mafiösen Box-Managern, die ihn gnadenlos verheizten. Nach einer Niederlage gegen Rocky Marciano war es endgültig mit dem Boxen vorbei. Haft arbeitete als Obsthändler in Brooklyn und sprach nie über seine Erinnerungen. Erst kurz vor seinem Tod erzählte er seinem Sohn die Geschichte. Alan Scott Haft, der fünf Jahrzehnte unter der Gewalttätigkeit des Vater gelitten hatte, ohne zu wissen, woher diese rührte, schrieb den Bericht auf. 2006 erschien es unter dem Titel "Harry Haft, Auschwitz Survivor, Challenger of Rocky Marciano" in den USA, 2009 folgte die deutsche Übersetzung "Eines Tages werde ich alles erzählen" (Verlag Die Werkstatt.)

Doch nicht dieses Buch dient dem Theater als Vorlage, sondern die Graphic Novel, die Reinhard Kleist gezeichnet hat. Der Berliner hatte bereits Elvis Presley, Johnny Cash und den kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro in mehrmals ausgezeichneten Comic-Biografien verewigt, als er 2010 auf diese ungeheuerliche Lebensgeschichte stieß und beschloss, sie in seine ganz eigene Bildsprache zu übersetzen. Unter der Regie von Susanne Reng spricht in Augsburg Sebastian Baumgart alle Rollen. Die Bilder des Comics werden mit einem Projektor auf die Backsteinwand des Kellers geworfen, begleitet von der Musik der Schlagzeuger Walter Bittner und Kilian Bühler. Und am Sonntag, 22.11., kommt sogar noch Zeichner Reinhard Kleist zur Vorstellung, um über die Entstehung des Buchs zu berichten (weitere Vorstellungen am 2., 9., 15. 12. sowie am 20., 21. 1.)

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