Vorschlag-Hammer:Alter Falter

Das alltägliche Leben wird erfahrungsgemäß komplizierter, je älter man wird - das merken auch Musiker

Von Oliver Hochkeppel

Es heißt ja immer, je älter man werde, desto einfacher werde vieles. Das mag manchmal stimmen, etwa, wenn man etwas beurteilen soll. Je mehr zum Beispiel ein Kritiker gesehen und gehört hat, desto sicherer ist sein Urteil. Glaubt er zumindest. Das alltägliche Leben aber, das wird meiner Erfahrung nach komplizierter, je älter man wird. Wer je einmal bei der Deutschen Rentenversicherung seinen "Rentenverlauf geklärt" hat, weiß, was ich meine. Mindestens bis zum 35. Lebensjahr kümmert einen doch als normal justierter jüngerer Mensch so etwas wie Rente überhaupt nicht. Sicher, was einen in der Jugend vorrangig beschäftigt hat, sagen wir mal vereinfacht Sex, Drugs & Rock'n'Roll, war auch nicht ohne. Der Beziehungsstress allerorten und die Scheidungsquote zeigen aber, dass auch das meist nicht besser wird. Und selbst wenn man mit Glück aus der "Ich-parshippe-jetzt"-Nummer heraus ist, kommt jede Menge anderes dazu. Es wird einfach immer mehr Kram, mit Kindern sowieso. Dann ist man heute automatisch nebenberuflich Erziehungsdienstleister - im Gegensatz zu meinen Eltern, die mein Schulgebäude seinerzeit ganze zwei Mal in ihrem Leben betreten haben - sowie Cheforganisator, Animateur und Taxifahrer für die diversen sportlichen, künstlerischen und sonstigen Aktivitäten der lieben Kleinen. Aber auch ganz alleine wird das Leben zu einer immer verschlungeneren, aufwändigeren Angelegenheit - der Verwaltungsakt der eigenen Existenz wächst eben einfach an.

Auch Musikern geht das so. Der 71-jährige Jazzpianist Joachim Kühn hat mir vor einiger Zeit verraten, er müsse immer mehr üben. Schon, um nur das Niveau zu halten. Dabei hat er natürlich nach wie vor den Anspruch, besser zu werden. Sein neues Album "Beauty and Truth" zeigt immerhin, dass das klappen kann: Sein "New Trio" mit dem Bassisten Chris Jennings und Eric Schaefer am Schlagzeug ist eine Wucht, das München-Debüt in der Unterfahrt (10. März) sollte man nicht verpassen. Der Auftritt steht in einer Reihe von drei "Act Nights", bei denen Künstler des Münchner Labels neue Werke und Besetzungen präsentieren. Schon an diesem Mittwoch, 9. März, widmet sich Geburtstagskind Wolfgang Haffner - der herausragende deutsche Schlagzeuger seiner Generation, der schon vor seinem 50. einmal zu spüren bekam, dass es auch körperlich komplizierter wird - mit einem All-Star-Quartett dem Cool Jazz. Sein schwedischer Gitarrist Ulf Wakenius spielt hier so gut wie nie. Am Freitag, 11. März, demonstriert dann die norwegische Sängerin Solveig Slettahjell (ein wenig die Björk des Jazz) zusammen mit Morten Qvenilds Trio In The Country und dem Blues-Gitarristen Knut Reiersrud mit dem in der Berliner Philharmonie uraufgeführten Programm "Trail of Souls", wie man dem Alterschaos begegnet: Mit der Besinnung auf die Wurzeln, der Konzentration auf das Wesentliche und mit Entschleunigung.

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