Vorbericht:Verweigerung als Haltung

Schnipo Schranke

Im Schatten junger Mädchenblüte gedeiht die Kloake: Das Duo Schnipo Schranke aus Hamburg.

(Foto: Buback)

Camouflierter Ekel: Das Hamburger Duo "Schnipo Schranke" gibt sich bewusst dilettantisch und schützt süßes Unvermögen vor. Wie das funktioniert, kann man in der Milla überprüfen

Von Rita Argauer

Der Einband zu Charlotte Roches Roman "Feuchtgebiete" ist pink wie eine Pralinenschachtel. Sobald man anfängt zu lesen, begegnet man allerdings einer Fäkalsprache und einem trotzigen Tonfall, der die einladende Jungmädchen-Haltung des Covers mit Drastik verbindet. Eine ähnliche Bewegung vollzieht auch das Hamburger Duo Schnipo Schranke, das vor einem Jahr das erste Mal mit dem Indie-Chanson "Pisse" in der deutschen Musiklandschaft auftauchte.

Im September ist mit "Satt" das Debüt-Album der beiden Musikerinnen in die deutschen Charts eingestiegen, Platz 63, wie sie Detlef Soost (das ist der ProSieben Popstars-Tanztrainer der alten Mainstream-Schule) in einer Folge des BR-Bandnachwuchsprogramms "Startrampe" stolz erzählen. Und Soost bringt die Crux dieser Band auf den Punkt: "Aber jetzt mal ganz ernsthaft, was wollt Ihr denn ausdrücken?", fragt er, "ich nehme diese Dinge ja immer sehr Ernst, ich bin mir nur nicht sicher, ob Ihr Euch selbst parodiert, andere parodiert, ob ihr es komödiantisch oder zynisch meint?"

Ironie ist es nicht, dazu meinen es Friederike Ernst und Daniela Reis zu ernst in ihren Songs, wenn sie mit Augenaufschlag in Fäkalsprache auch die dreckigeren Seiten der (körperlichen) Liebe besingen. Popstars wollten sie werden, also aktuelle Popmusik schaffen, die kommerziell funktioniert. Deshalb haben sie ihr Studium der klassischen Musik an der Musikhochschule Frankfurt abgebrochen. Aber sie haben auch erkannt, dass eben Popstars heutzutage nicht mehr in Casting-Shows gemacht werden, sondern dass das, was man früher Indie oder Alternativ nannte, zum neuen Mainstream wird.

Eigentlich ist es ja schön, dass Musik heute auch kommerziell funktioniert, wenn sie diese etwas schrägen Widerhaken hat. So auch bei der Stuttgarter Band Die Nerven. Die sind so etwas wie die punkigen kleinen Brüder der Hamburger Schule und sind mit ihrem dritten Album gerade ähnlich erfolgreich. Bands mit recht beachtlichem Erfolg, die ein veraltetes Mainstream-Muster schon lange nicht mehr bedienen.

Doch scheint in diesem Spektrum deutschsprachiger Popmusik im musikalischen Ausdruck immer noch ein Unterschied zwischen Männern und Frauen zu bestehen. Dafür reicht ein Vergleich aktueller Bands, die sich an der Grenze zwischen Mainstream und Independent bewegen: Während bei den erfolgreichen Männer-Bands eine neue Ernsthaftigkeit, Unbequemlichkeit und musikalisches Können zelebriert werden, entschieden sich ein paar Musikerinnen in dieser Riege für andere Ausdrucksmittel. Und so überholt es im Jahr 2015 scheint, die Schere zwischen Musikern und Musikerinnen aufzumachen, so eklatant ist der Unterschied: Das Damentrio Die Heiterkeit etwa, das Hamburger Duo Zucker oder eben Schnipo Schranke, ausschließlich weiblich besetzte Bands, die süß anmutenden Dilettantismus als Ausdrucksmittel wählten. Wichtig ist dabei, dass das als bewusste Entscheidung erscheint, besonders eben bei Schnipo Schranke, die Musik einst sogar studierten. Es ist also nicht fehlendes Können, sondern die Verweigerung des Könnens, das diese Ästhetik schafft.

Obwohl sich Schnipo Schranke von einem feministischen Ansatz distanzieren, stellen sich derartige Fragen. Schnipo Schranke singen schön und spielen tight, auch wenn sie nur drei Schlagzeugbeats können, wie sie gern und oft betonen. Doch während sich die musizierenden Jungs weiterhin als angry young men stilisieren, einen Tritonus an den anderen reihen und fast expressionistisch gegen vermeintliche Perspektivlosigkeit andonnern, erklingen bei Schnipo Schranke Dur-Akkorde, süß-schräge Synthies und rumpelige Beats zum drastischen Text.

Die Entscheidung, nicht das weibliche Pendant dieser Männer zu werden, ist wunderbar. Und bewussten Dilettantismus gab es im Pop auch schon früher, wie das Haus der Kunst in seiner Achtzigerjahre-Schau gerade zeigte. Doch Schnipo Schranke nutzen das überholte Mädchenklischee süßen Unvermögens für anmutig verpackten, trotzköpfigen Ekel. Und provozieren so den Trugschluss, dass Frau und Mann selbst in der aktuellen Popmusik noch nicht gleichauf agieren. Doch haben sie bewusst diese musikalische Art brût als Stilmittel und Alleinstellungsmerkmal gewählt. Und das ist auch eine Art Emanzipation.

Schnipo Schranke, Di., 17. November, Milla, Holzstraße 28

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