Vorbericht:Höllenmutter, Höllentöchter

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Charlotte Schwab als Böse bei "Eine Familie" am Residenztheater

Von Christiane Lutz, München

Der richtige Wahnsinn findet in der Familie statt. In jenen Blutsverbindungen, die uns auf ewig an andere Menschen ketten, ob wir wollen oder nicht. Das hat der amerikanische Autor Tracy Letts selbstverständlich nicht als erster erkannt, aber er hat ein bitterböses Theaterstück geschrieben, das diesen Wahnsinn der Familie so zuspitzt, dass es beim Lesen schauert. "Eine Familie" heißt der Text, mit dem Letts 2008 den Pulitzer-Preis gewann und erst den Broadway, dann Hollywood eroberte. Auch auf deutschen Bühnen wird "Eine Familie" viel gespielt, nun kommt es zum ersten mal nach München, ans Residenztheater, inszeniert von Tina Lanik.

Die Geschichte geht so: Beverly Weston, Alkoholiker, nimmt sich das Leben. Zurück lässt er seine hochgradig tablettenabhängige und an Mundhöhlenkrebs erkrankte Frau Violet. Zu seiner Beerdigung finden die drei Töchter, Barbara, Karen und Ivy, den Weg nach Hause, nach Oklahoma im August. Sie haben längst nichts mehr miteinander zu tun, wissen kaum, wo die anderen leben, wen sie lieben. Zuhause brechen augenblicklich alte Wunden auf, Schwestern und Mutter schleudern sich die immer gleichen Vorwürfe entgegen. Gemeinsame Trauerarbeit ist das nicht. Brodelnder Vulkan im Zentrum ist Mutter Violet. Sie provoziert und attackiert alle, einzig mit dem Recht der Verzweifelten. "Drecksau" ist noch einer ihrer freundlicheren Beschimpfungen. "Violet ist ein Mensch, der nichts mehr zu verlieren hat. Darum hat sie keine Filter mehr", sagt Charlotte Schwab, die die Rolle am Residenztheater spielt. Eine kluge Besetzung. Schwab ist Schweizer Film- und Theaterschauspielerin, bekannt aus "Alarm für Cobra 11" und der Krimi-Reihe "Das Duo", dies ist ihre erste Arbeit am Resi. Eigentlich war für die letzte Premiere der Spielzeit eine Produktion von Herbert Fritsch geplant, die vom Regisseur wieder abgesagt wurde. So musste man schnell umdisponieren, ein anderes Stück und vor allem eine Schauspielerin finden, die der Hauptrolle Violet gewachsen ist und nicht schon in laufenden Produktionen steckte. Dieser Umstand könnte sich als Glücksgriff erweisen. Schwab spricht mit einer Stimme so dunkel und kratzig wie Violets Worte, aber einem Wesen, so offen und freundlich, als gehöre die Stimme überhaupt nicht dazu. "Ich nenne Violet nicht bösartig", sagt Schwab, "ich nenne sie lieber hart." Zur wahren Violet durchzudringen ist praktisch unmöglich, stets verschleiern der Frust, der Tablettenrausch und der Schmerz ihre Persönlichkeit. In seltenen Augenblicken mischt sich so etwas wie Zuneigung und Rührung in ihre Worte, die sofort wieder in Klageliedern münden: Keiner kümmert sich um mich, du hast deinem Vater das Herz gebrochen, als du weggezogen bist, ihr seid alle verwöhnt und schrecklich undankbar. Einzig Barbara, die älteste Tochter, lehnt sich gegen die Mutter auf und beginnt, mit deren Waffen zu kämpfen. So lange, bis die Frauen auf dem gleichen unterirdischen Geschmacksniveau streiten. Ein Heidenspaß sei die Rolle der Violet, sagt Charlotte Schwab. Einmal alles rauslassen, ungefiltert, und sich verbale Schlachten mit Tochter Barbara (gespielt von Sophie von Kessel) zu liefern. Ein Geschenk für jede Schauspielerin. So etwas wie Komik, betont Schwab, würde in der Inszenierung durchaus entstehen. Die Komik der Fassungslosigkeit, wenn eine Grenze überschritten wird und man nicht glauben kann, was diese Frau da gerade zu ihrer eigenen Mutter gesagt hat.

"Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sich der Zuschauer mit der einen oder anderen Figur identifizieren kann", sagt Charlotte Schwab. Schon in den Proben hätten sich Schauspieler und Regisseurin an eigene schwierige Verbindungen in der Familie erinnert gefühlt. Schwestern, die nicht mehr miteinander reden. Eltern, die es den Kindern übel nehmen, wenn sie ans andere Ende des Landes ziehen. Scheinbar ist Familie so. Familie, dieses überhöhte und doch schützenswerte soziobiologische Prinzip. "Ich glaube, dass das, was wir als gut und intakt empfinden, oft nur eine dünne Oberfläche ist. Drunter wimmelt's und brodelt's", sagt Charlotte Schwab, "jeder muss damit klarkommen. Sich von seinen Illusionen verabschieden. Um die Familie kämpfen. Oder eben nicht." Einen Ausweg aus diesen Ritualen der Bösartigkeit gibt es für die Familie nicht. Auch Flucht ist kein Ausweg.

Eine Familie , von Tracy Letts, Regie: Tina Lanik, Premiere am Freitag, 3. Juli, 19 Uhr, Residenztheater, Max-Joseph-Platz 1


© SZ vom 03.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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