Vor der Trump-Vereidigung:Außer Kontrolle

Eine Blockade mutiger Wahlmänner ist bei der Abstimmung am Montag unwahrscheinlich, dies weist auf die mangelnde Krisenfestigkeit der Checks and Balances hin. Können die USA einem Autokraten wirklich standhalten?

Von Eva Marlene Hausteiner

Am 20. Januar wird Donald Trump der 45. amerikanische Präsident. Die Hoffnungen auf Rettung - Neuauszählung, Strafprozesse, ein Aufstand der Anständigen unter den Republikanern - haben sich nicht erfüllt. Dennoch, so behaupten kühle Köpfe diesseits des Atlantiks, werden die USA nicht untergehen. Häufig führen diese Beobachter das Prinzip der Checks and Balances ins Feld: ein ausgeklügeltes System nicht nur der Teilung der politischen Gewalten, wie sie Montesquieu erdacht hat, sondern ihrer Verschränkung und gegenseitigen Kontrolle.

Kein Verfassungsorgan kann die übrigen nach seinem Willen dirigieren. Im Gegenteil: Der Präsident ist ohne die Legislative gelähmt und ihr - erinnert sei an das Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton - letztlich mit Amt und Würden ausgeliefert. Über allem thront zudem der seinerseits von Präsident und Senat abgesegnete Supreme Court als Hüter der Verfassung. Überdies soll zusätzlich zur horizontalen Machtkontrolle auch die vertikale Machtteilung zwischen Bundes- und Länderebene verhindern, dass alle Gewalt in eine Hand fällt. Welches System wäre also immuner gegen einen Angriff eines Möchtegern- Autokraten als die USA, ausgestattet mit der ältesten, bewährtesten, kongenialsten Verfassung der Welt? Werden wir demnächst einen Triumph konstitutioneller Beständigkeit erleben - den Beweis, dass eine gut verfasste Republik durchaus, frei nach Kant, von Teufeln bevölkert, ja, von ihnen regiert werden kann?

Als James Madison, Alexander Hamilton und John Jay 1778 und 1788 den 13 Staaten Amerikas die neue Verfassung anpreisen, ist genau dies ihr zentrales Argument: Selbst in einem immensen Territorium kann ein Staat nur frei bleiben, solange seine Institutionen den Machtmissbrauch verhindern. Sie versprechen das Kunststück, durch horizontale und vertikale Teilung und Verschränkung der politischen Gewalten und Ebenen die Tyrannei - "der Häufung aller Gewalten (. . .) in einer Hand", so Madison - für immer zu verhindern. Gerade Madison verbittet sich in den "Federalist Papers" den Vorwurf, eine "Despotie mit Wahlen" zu verfechten. Vielmehr seien die Machtzentren so arrangiert, dass keines "die rechtlichen Grenzen überschreiten kann, ohne sogleich von anderen in seine Schranken gewiesen zu werden."

Der Bürger ist in den Augen der Gründerväter kein tugendhafter Held

Ein großer Staat ist also nicht zur Unfreiheit verdammt. Doch hinter diesem Optimismus steht ein pessimistisches Menschenbild, in dem potenzielle Despoten hinter jeder Ecke lauern: Der Bürger ist auch in den Augen der Gründerväter kein tugendhafter Held, sondern interessengelenkt. Damit die res publica aber nicht zerkämpft wird, müssen Leidenschaften ausbalanciert werden und Individuen mit politischer Macht von anderen im Zaum gehalten. Die Pointe freilich ist, dass die Macht dadurch nicht verschwindet.

"Das eigentliche Ziel der amerikanischen Verfassung war es offenkundig nicht, Macht einzuschränken, sondern mehr Macht zu schaffen", so Hannah Arendt in "Über die Revolution von 1963". Ziel der Gründerväter war das lebendige Austarieren zwischen multiplen, starken Machtpolen: "Eine Ambition muss der anderen entgegenwirken", die risikoträchtigen Passionen produktiv gemacht werden.

Als passioniert könnte man, sehr wohlwollend, auch Donald Trump bezeichnen: Mithilfe der "Kunst des Deals" betätigt er sich als ambitionierter Maximierer, einstmals von Portfolios und Einschaltquoten, nun von Machtbefugnissen und persönlichen Allianzen. Sein politischer Typus ist alles andere als neu, ihn kannten auch die Gründerväter gut. Wer heute die Abschaffung des Wahlmännerkollegs fordert, muss wissen, dass Hamilton diese Mittelbarkeit in der Präsidentenkür damit begründete, dass ungeeignete Kandidaten - selbst wenn sie vom Volk präferiert werden - von gemeinwohlorientierten Wahlmännern zurückgewiesen werden. Kandidaten, die, so Hamilton, nur die "Gabe zu niederem Ränkespiel und die mindere Kunst der Beliebtheit" beherrschten.

Ein Blockade mutiger Wahlmänner ist aber auch bei der Abstimmung am heutigen Montag unwahrscheinlich, und dies weist auf die mangelnde Krisenfestigkeit der Checks and Balances hin. Die Gewaltenkontrolle ist erstens träge und nicht für ein schnelles Eingreifen geeignet, wie sich gegenwärtig zeigt. Die Demokraten sind zu zersplittert, um wirksam im Kongress mobilisieren zu können. Und selbst wenn sich die Legislative entschlösse, ein präsidiales Dekret zu blockieren, würde dies Monate dauern und weitere Vetos provozieren. Zweitens werden politische Leidenschaften ihrerseits politisch gekontert und nicht durch den kühlen Eingriff des Rechts. Der Supreme Court ist selbst ein nach politischen Kriterien ausgesuchtes Gremium, das der neue Präsident mithilfe des Kongresses für Jahrzehnte prägen kann. Gerichtliche Korrekturen von präsidialen Dekreten Bushs nach dem 11. September nahmen ein halbes Jahrzehnt in Anspruch. Drittens hat der gewählte Präsident Trump erfolgreich sichergestellt, dass seine Gegner - auch jene unter den Wahlmännern - auf Besänftigung setzen statt auf die patriotische Konfrontation, wie sie sich die Verfassungsväter im Ernstfall erhofften. Die Republikaner in Senat und Repräsentantenhaus dienen sich Trump an. Die Mehrheiten in beiden Häusern sind ihm auch für die meisten seiner verfassungsfeindlichen Vorhaben sicher. Der Grund dafür ist nicht allein Parteiloyalität, sondern die Tatsache, dass offenbar keiner der Feind eines Mannes sein will, dessen vorpolitische Machtfülle - ob man diese nun finanziell, in Twitter-Followern oder legal-gewaltsamem Drohpotenzial misst - alles Dagewesene übertrifft.

Trump hat dafür gesorgt, dass auch seine Gegner auf Besänftigung setzen

Der Fehler der Verfassung liegt damit in der Illusion der Perfektion. Gerade jene Verfassung, die vermeintlich alles mitbedachte, ist in einem fundamentalen Sinne nicht anpassungsfähig. Die neuen Varianten von Korruption, die neuen Mittel der Machtergreifung, aber auch die technisch versierten Eingriffe fremder Mächte konnten die Gründerväter nicht vorhersehen, sie unterschätzten aber schon die Notwendigkeit laufender Verfassungserneuerung. Vielleicht steht nun also erstmals mehr auf dem Spiel als linke oder rechte Politik. Innenpolitisch entscheidet sich womöglich, wie amerikanische Kommentatoren es formulieren, "das Überleben der Republik". Hinter dieser weihevollen Wendung steht die Überzeugung, dass die USA nicht hinter mühsam errungene Fortschritte zurückfallen können, ohne das Versprechen der Freiheit aufzugeben.

Gelingt es Trump und seinen mächtigen Beratern jedoch, sukzessive das Wahlrecht von schwarzen Amerikanern zu beschneiden, sich mit persönlicher Bereicherung im politischen Amt zu brüsten und die Unterordnung unter Interessen anderer Staaten wie Russland hoffähig zu machen, wird es bleibende Schäden geben. Die Trump'sche Kaperung der Republik müsste mit einer Revolution gekontert werden. Käme es jemals zu einem solchen neuen Gründungsmoment der USA, müssten die neuen Verfassungsväter und -mütter sich freilich fragen lassen: Wie kann, angesichts des Erfindungsreichtums der Korrupten und der Feinde der Demokratie und Freiheit, politische Macht auch in Krisen kontrolliert, wie die Flexibilität der Stabilitätspolitik unter den Bedingungen medialer und wirtschaftlicher Machtballung garantiert werden? Nicht zuletzt hätten sie, angesichts des globalen Status der USA, auch den Rest der Welt vor einer amerikanischen Tyrannei zu bewahren.

Die Autorin ist Politikwissenschaftlerin und lehrt in Bonn und Harvard.

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