Volkstheater:Diener des Textes

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Wenn diese beiden auftreten, bekommt die Aufführung Luft: Jean-Luc Bubert und Leon Pfannenmüller spielen mit Lust. (Foto: Gabriela Neeb)

Lilja Rupprecht inszeniert zur Saisoneröffnung des Volkstheaters Dea Lohers Stück "Unschuld"

Von Egbert Tholl, München

Das Merkwürdige an der Saisoneröffnungspremiere des Münchner Volkstheaters ist nicht unbedingt die ein wenig überraschende Tatsache, dass man dort das 13 Jahre alte Stück "Unschuld" von Dea Loher ausgegraben hat. Das Merkwürdige ist, dass Lilja Rupprecht den Text inszeniert, als handle es sich um dessen Uraufführung. Kaum Striche, getreu bis in die Szenenanweisungen hinein geht sie zu Werke. Da hilft auch der schöne Raum von Anne Ehrlich nicht viel: eine U-Bahnstation, durch die mittels Projektion zwischen den 19 Szenen die Bahnen hindurchrauschen. Viel mehr rauscht hier nicht, in diesem kalten Labor, in dem Dea Lohers Text zur vollen Blüte seiner rhetorischen Konstruktion heranreift.

Es ist eine in sich extrem heterogene Sammlung verschiedener Monologe, echter Szenen und einiger Begegnungen, bei denen die eine Figur über die andere spricht und umgekehrt, ein seltsames episches Fluidum. Manches gelingt Loher hier fabelhaft, witzig, scharf, pointiert. Anderes, gerade die Monologe, gerinnen zu einem verstockten Elaborat aus Philosophie, Poesie und vagem Geraune. Da kann man etwa die Schauspielerin Katalin Zsigmondy nur bedauern, denn ihre Figur hat fast nur Solostellen abgekriegt; von den viel fleischlicheren, echten Szenen bekommt sie keinen Bissen ab. In dem Stück tauchen zwei Flüchtlinge auf, vielleicht ist das der Grund, weshalb man es auf den Spielplan setzte. Doch gerade bei diesem Punkt ist die Dramenliteratur inzwischen viel weiter als Loher vor 13 Jahren. Nichtsdestotrotz haben die beiden die besten Szenen, und Leon Pfannenmüller und Jean-Luc Bubert flunkern und spielen mit einer herrlichen Lust. Hier kriegt die Aufführung Luft, hier wird es schön.

Überhaupt erschaffen die meisten der neun Darsteller Momente, in denen spürbar wird, was mögliche gewesen wäre, hätte Rupprecht hier so viel Mut bewiesen wie bei ihrer "Caligula"-Inszenierung am Volkstheater. Magdalena Wiedenhofer zeigt mit größter Würde die Anmut eines schutzlosen Körpers, Ursula Maria Burkhart hat als Frau Zucker herrliche Zwiegespräche mit ihrem Bein. Frau Zucker hat Zucker, also Diabetes, das Bein muss ab.

Die schönste, ergreifendste Figur, die Loher hier erfand, spielt Mara Widmann. Frau Habersatt trug einst ein Kind im Leib, der Leib wurde des Kindes Sarg, es starb vor der Geburt. Nun bewegt sich Frau Habersatt auf Pfaden angenommener Schuld, imaginiert ihren Sohn, der nie zur Welt kam, als Amokläufer oder Triebtäter, besucht die Hinterbliebenen, die Opfer realer Gewalttaten und entschuldigt sich für das, was ihr Sohn tat. Widmann spielt das mit der ihr innewohnenden Kraft der Emotion, und man kriegt eine Ahnung davon, welches Panoptikum Dea Loher in ihrem Stück skizzieren wollte. Frau Habersatt, die keine Schuld trägt, sucht sich eine, auch um zu überwinden, dass der Sohn, den sie haben wollte, nie lebte.

Gut möglich, dass nach drei, vier Vorstellungen die Darsteller das statuarische Konstrukt aufbrechen und mit mehr Leben füllen. Gut ausschauen werden sie dabei auf jeden Fall, weil das Licht stammt von Günther E. Weiss. Es ist seine letzte Arbeit als Beleuchtungschef des Hauses, nach 32 Jahren geht er nun in Ruhestand. 32 Jahre Volkstheater, von dessen Anfang an. 32 Jahre, in denen er immer wieder, teilweise mit wenigen Mitteln, ein Licht herbeizauberte, das sich bei aller künstlerischen Eigenart stets perfekt einfügte in den Dienst der Szene.

© SZ vom 24.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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