Volksmusik im ZDF:Das letzte Jodeln

Volksmusiker fühlen sich verfolgt: Das ZDF vernachlässige die Senioren, eine Klage wegen Altendiskriminierung ist geplant. Beim Grand Prix feiert sich die Branche demonstrativ.

Elmar Jung

Die Fernsehkameras sind aus, da wird im Studio 1 des ORF-Zentrums im 13. Bezirk Wiens noch gefeiert. Sigrid, Marina und die Zillertaler Haderlumpen reißen immer wieder die Fäuste in die Luft und grinsen, sodass man ihre polierten Zähne sehen kann.

Volksmusik im ZDF: Empört: Heino rief dazu auf,  die TV-Gebühren um einen Euro zu kürzen.

Empört: Heino rief dazu auf, die TV-Gebühren um einen Euro zu kürzen.

(Foto: Foto: ddp)

Das Gesangsduo mit Band dürfte einem Großteil der Öffentlichkeit unbekannt sein, aber das macht jetzt nichts. Sie haben an diesem Samstagabend soeben den Grand Prix der Volksmusik gewonnen. Den wichtigsten Preis, den die Branche zu vergeben hat. Und bei dem in diesem Jahr erstaunlich wenig Interpreten antraten, die auch außerhalb der Szene bekannt sind.

Seit 21 Jahren überträgt das Mainzer ZDF in Kooperation mit dem österreichischen ORF, dem Schweizer Fernsehen und der italienischen RAI Südtirol die Veranstaltung live. Fotografen und Kamerateams zanken sich um die besten Plätze. Es ist eng, und manchmal müssen die Interpreten aufpassen, nicht von der üppig dekorierten Bühne zu fallen. Aber das stört sie nicht. Sie genießen es. Auch, weil es in jüngster Zeit nicht allzu viel zu feiern gab für die Jodel-Branche.

Der Druck steigt unter der Decke der ewig guten Laune, seit ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut vor ein paar Wochen die Sendungen "Lustige Musikanten" und "Zauberwelt der Berge" aus dem Programm nehmen ließ. Moderatoren wie Marianne & Michael oder Dieter Thomas Heck schickte er in den vorläufigen Ruhestand. Damit brachte Bellut die Schunkel-Branche und ihr Publikum, bisher mit besten Programmplätzen verwöhnt, heftig gegen sich auf. Man sieht sich als Opfer einer Verjüngungskur des ZDF.

Nach neueren Erhebungen ist der durchschnittliche ZDF-Zuschauer 61 Jahre alt, 20 Jahre älter als der Durchschnittsdeutsche. Der ARD geht es ähnlich, dort ist der Zuschauer im Schnitt 60 Jahre, bei Volksmusik-Sendungen sogar 67 Jahre alt. Von den 14- bis 49-Jährigen schalten nur noch 5,7 Prozent das ZDF ein, aber 16 Prozent den Konkurrenten RTL. Auch wegen solcher Zahlen will der Mainzer Sender wieder jünger werden. Nur die Volksmusik-Branche kann nicht verstehen, warum.

Ratlos ist auch Lys Assia. Die 83-Jährige hat 1956 beim allerersten Grand Prix Eurovision de la Chanson gewonnen. Mit ihrem bestickten Nadelstreifenanzug und den großen Ohrringen macht die Schweizerin bei der Aftershow-Party in Wien, zwischen Leberkäse-Buffet und Sektstand, einen etwas fremden Eindruck. Alles hier wirkt klein und nicht allzu bunt. Man kann das natürlich schummrig oder gemütlich nennen. Man könnte aber auch glauben, die Volksmusik habe im TV ihre besten Tage hinter sich. "Genügt es nicht mehr, dass man drei Millionen Menschen an den Fernsehern unterhält?", fragt Lys Assia.

"Natürlich wird es auch in Zukunft noch Volksmusik beim ZDF geben", sagt ein Sprecher des Senders. Die Beschwichtigungsversuche haben durchaus Kalkül. Auf Einschaltquoten von bis zu sieben Millionen Zuschauern, wie sie zum Beispiel die Volksmusik-Vorzeigeformate "Musikantenstadl" und "Feste der Volksmusik" mit Florian Silbereisen für die ARD erreichen, kann und will auch das ZDF nicht verzichten. Den Grand Prix aus Wien sahen am Samstag im ZDF knapp vier Millionen Zuschauer (Marktanteil 17,2 Prozent).

Nach der Sendung ist man am Rand der Bühne nicht gut zu sprechen auf das ZDF. "Das kann es doch nicht sein", sagt ein Fan, der gerade noch mit rotem Kopf in sein Handy gesprochen hat. Der Sender werde mit seiner Kahlschlag-Methode Schiffbruch erleiden. "Und dann müssen die Manager, die dieses Verbrechen begangen haben, gehen." Verbrechen? Ähnlich wie das Erscheinungsbild mancher Musik-Interpreten kommt der Aufschrei der Szene doch recht schrill daher.

Ansonsten ist bei der Party in den schmucklosen Räumen irgendwie schnell die Luft raus. Abseits des Scheinwerferlichts hat die Veranstaltung ihren Glanz verloren. Vereinzelte Fans harren geduldig aus für ein Autogramm. Nur Grand-Prix-Moderator Marc Pircher sieht noch so aus, als würde er auf der Bühne stehen. Und er nimmt sich Zeit. Für Fotos und Interviews. Pircher sagt, er verstehe nicht, warum der Sender jetzt plötzlich von der Branche Abstand nehme. Er sagt: "Das ZDF sollte froh sein, dass es solche Quotenbringer hat."

Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlager und Volksmusik erwägt nun eine Klage gegen das ZDF wegen Verstoßes gegen das Antidiskriminierungsgesetz, weil der Sender die Alten vernachlässige. Und neulich probte Sänger Heino den Aufstand und rief dazu auf, die TV-Gebühren um einen Euro zu kürzen. Marianne Hartl vom Schlager-Duo Marianne & Michael erlitt nach der letzten Ausgabe ihrer abgesetzten Sendung "Lustige Musikanten" einen Zusammenbruch. Ihr Mann und Mitmoderator Michael deklamierte: "Das Ende der Show brach ihr das Herz." Das ist das Gefühlsrepertoire einer Welt, die sich bislang unter Ausschluss weiter Teile der Öffentlichkeit drehte - und völlig immun schien gegen Einflüsse von außen.

So brachen die CD-Umsätze zwischen 1997 und 2006 um etwa ein Drittel ein - die Segmente Volksmusik und Schlager blieben stabil. Interpreten wie Roberto Blanco oder die Kastelruther Spatzen sind oft seit mehr als 25 Jahren gut im Geschäft. Und Hansi Hinterseer sieht als Sänger, Moderator und Schauspieler heute noch genau so aus wie 1973, als er mit 19 Jahren den Ski-Weltcup im Riesenslalom gewann. Dazu kommt die Treue der Fans, die fast schon etwas Rührendes hat. Man kennt sich, ist per Du, seit Jahrzehnten schon.

Tatsache ist: Immer noch gibt es mehr als 30 Musiksendungen bei den Öffentlich-Rechtlichen. Immer noch kann es passieren, dass freitags nahezu gleichzeitig die "Aktuelle Schaubude" (NDR), "Der Kahn der guten Laune" (MDR) mit dem Schnauzbartträger Achim Mentzel, "Weiß-Blau klingt's am schönsten" (BR) sowie "Fröhlicher Weinberg" (SWR) um die Zuschauergunst kämpfen. Oder dass die Öffentlich-Rechtlichen um 20.15 Uhr zur besten Sendezeit die "Straße der Lieder" mit Gotthilf Fischer im Ersten und André Rieu im ZDF gegeneinander antreten. Zwei Formate weniger fallen da eigentlich kaum auf.

Daran mag man im Studio 1 des ORF-Zentrums nicht denken. Moderator Marc Pircher hat sich ein bequemeres Hemd angezogen. Es scheint, als hätte er mit seinem dunklen Anzug und der rosa Krawatte auch seine gute Laune abgelegt. Er wirkt jetzt völlig humorlos. Und dann sagt er etwas, das fast wie eine Drohung klingt: Sollte das ZDF tatsächlich aus der Grand-Prix-Übertragung und der ganzen Volksmusik aussteigen, dann gäbe es ja noch genügend andere Sender.

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