Volker Schlöndorff wird 70:Blechtrommelwirbel

Zwischen "Bonjour Tristesse" und Böllscher Moral - Volker Schlöndorff, der Mann, der mehr Literatur auf die Leinwand gebracht hat als alle anderen deutschen Regisseure, wird siebzig.

Fritz Göttler

Er ist der Unbehauste des deutschen Kinos der Nachkriegszeit, der Wanderer zwischen den Ländern und den Kulturen, den Genres und den Stilen. Anders als die Freunde und Kollegen Wim Wenders und Werner Herzog hat er es aber nie geschafft, das Wandern, das Unterwegssein selbst zum Thema seines Werks zu machen - und was das junge deutsche Kino von Caspar David Friedrich bewahrt hatte, über den deutschen Stummfilm, F.W. Murnau und Fritz Lang, scheint bei ihm am wenigsten weiterverarbeitet, verwandelt, sublimiert. Erst der bislang letzte Film, "Ulzhan", 2007, ist ein richtiges Roadmovie geworden, ein Mann zieht los nach Kasachstan, um in einer Gewalttour die eigene Vergangenheit loszuwerden und den Verlust, den sie ihm brachte. David Bennent ist wieder mit von der Partie, als Schamane, der mit Wörtern handelt - als wäre er ein Bruder im Geiste des Oskar Matzerath, den Bennent in der "Blechtrommel" spielte.

Volker Schlöndorff wird 70: Volker Schlöndorff brachte die "Blechtrommel" in die Kinos.

Volker Schlöndorff brachte die "Blechtrommel" in die Kinos.

(Foto: Foto: ddp)

Exakt vor dreißig Jahren, könnte man sagen, war Volker Schlöndorffs Stunde Null. Der 31.März 1979, sein vierzigster Geburtstag, das war der letzte Arbeitstag für die "Blechtrommel", da wurde die Tonmischung für den Film beendet. Ein Jahrhundertbuch endlich auf die Leinwand gebracht, sodass alle beteiligten zufrieden sein konnten, der Dichter Grass, die internationalen Produzenten und der Filmemacher Schlöndorff. Ihn sollte die "Blechtrommel" in eine andere Dimension befördern.

Der Film gewann kurz darauf die Goldene Palme in Cannes, zusammen mit Coppolas "Apocalypse Now", und dann den Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film. Von nun an war Schlöndorff ein internationales Großformat, in einen Hase-und-Igel-Wettlauf verstrickt mit Erfolgsaussichten und Erwartungen, den eigenen und denen der anderen. Ein Wettlauf, den nur wenige gewinnen konnten, und der unverwüstliche, kreative Irrwisch Schlöndorff war sich, das zeigt sein Erinnerungsbuch "Licht, Schatten und Bewegung", das er im vorigen Jahr vorlegte, dessen wohlbewusst.

Das Vorbild für seine Karriere, für seine Träume hat er selbst vorgegeben - Rastignac, aus dem Werk von Balzac, der Junge, der aus der Provinz kommt in die große Stadt Paris und dessen Naivität und Ehrgeiz Schlöndorff teilt. Frankreich und seine Kultur, sein Kino hatten ihm, geboren in Wiesbaden und aufgewachsen im Taunus, geholfen, aus der Enge Nachkriegsdeutschlands herauszukommen. Im Jesuiten-Internat in Vannes, am Ende der Welt, erlebte er viel mehr Freiheit als zu Hause. Dann durfte er auf ein Elitegymnasium nach Paris, später Jura studieren. 1961 hat er seine erste Regieassistenz gemacht, bei Alain Resnais, "Letztes Jahr in Marienbad", gedreht im Schloss Nymphenburg.

Delphine forever

Der Unbegreiflichkeit des modernen Kinos, die er hier erfuhr, ist Schlöndorff von da an nachgejagt - wie man tagelang Schienen verlegte in den engen Gängen des Schlosses, um das geheimnisvolle Lächeln von Delphine Seyrig nicht aus dem Blick zu verlieren. Auch Schlöndorff gehörte zu denen, die sich in sie verguckten, von da an hat er alle literarischen Frauenfiguren in seinem Gedankenkino erst mal mit Seyrig besetzt. Von denen sollte es noch mal jede Menge geben, Schlöndorff hat mehr Literatur auf die Leinwand gebracht als die anderen deutschen Regisseure, darunter viele deutschsprachige Bücher, von Musil, Kleist, Brecht, Böll, Grass, Born, schließlich Frisch. Sein letztes Großprojekt, die Verfilmung der "Päpstin" von Donna Cross, die er für die Münchner Neue Constantin vorbereitete, ist ihm von der Produktionsfirma schnöde entzogen worden.

In München hat Schlöndorff seinen ersten Film auf den Weg gebracht, mit Hilfe des Altproduzenten Franz Seitz - "Der junge Törless", eine Internatsgeschichte von Musil. München war filmisch zweigeteilt damals in den Sechzigern, die Schwabinger, May Spils, Klaus Lemke oder Rudolf Thome, holten sich den Stoff für ihre Filme aus den Frühstückscafés auf der Leopoldstraße. Alexander Kluge und Schlöndorff ackerten derweil für die Machtübernahme im deutschen Kino: Oberhausener Manifest, Filmförderung, Fernsehgelder, fort mit Opas Kino. Man musste durchsetzen, dass das Filmemachen das Einfachste und Selbstverständlichste auf der Welt war. In Bildern denken, sodass Intellekt und Sinnlichkeit zusammenkamen - wie der Mann ohne Eigenschaften es vorgemacht hatte.

Dass eine Stadt ihren Cineasten gehören konnte, das hatte Schlöndorff in Paris erfahren, dass man im und fürs Kino leben musste. Er hatte Freunde getroffen und mit ihnen gemeinsam Filme angeschaut in der Cinémathèque, diskutiert und gearbeitet, Bertrand Tavernier, Louis Malle, Jean-Pierre Melville. Er hatte den Traum von einem intakten, integren deutschen Filmbusiness, das etwas Paradiesisches hatte, mit Erinnerungen an die Modelle der Gelehrtenrepublik. "Es entstand wieder eine Industrie", so ging sein Traum, den er 1966 nach dem "Törless" in einem Artikel niederschrieb, "die nicht länger aus Bittstellern, Hilfskräften, Geltungssüchtigen und Kunstgewerblern sich rekrutierte und die nicht länger scheel angesehen und belächelt wurde."

Ein Traum, dessen Verwirklichung gerade Schlöndorff einiges kosten sollte - und der sich mit einem anderen überlagerte, ebenso absolut, kompromisslos und naiv: dem Traum von der politischen Aktion. Die Spirale von Widerstand, Terror und staatlicher Restriktion machte Schlöndorff und seine Freunde wie von allein zu Sympathisanten, zu filmischen Partisanen, im Gemeinschaftsprojekt "Deutschland im Herbst". Schlöndorff ist da ein Missing Link der europäischen Kulturgeschichte, er macht deutlich, wie nahtlos und wie schnell es von Existentialismus und Sagan-Tristesse zum politisch-moralischen Aktivismus ging. Und von den Freunden der Nouvelle Vague hatte Schlöndorff gelernt, dass eine neue Politik und ein politisches Kino nicht ohne neue Formen ging. Wenn man einen Film wie den "Baader-Meinhof-Komplex" heute sieht, mag man leicht in Verzweiflung geraten - ein Film, als wären all diese Kämpfe und Frustrationen umsonst gewesen, der Terror um "Katharina Blum", das Risiko sich der Lächerlichkeit auszusetzen in "Deutschland im Herbst".

Immer noch propagiert Schlöndorff die absolute Reinheit des Kinos, immer noch setzt er aufs amerikanische Kino - auch wenn es nach der "Blechtrommel" doch einige verlorene Illusionen gab, was die Arbeit in den USA angeht - vielleicht ist der einzige "amerikanische" Film, den er je machte, "Homo Faber", mit Sam Shepard, und Max Frisch sein großer "amerikanischer" Freund - er hat ihm kurz vor seinem Tod seinen Jaguar geschenkt. Mit Frisch gab es jene Kommunikation nur mit Gesten und Bildern, von der Schlöndorff und das moderne Kino träumen, jene Gelassenheit und Heiterkeit. "Die meisten sehen sehr jung aus", hatte Frisch in seinem Tagebuch von den 68er-Rebellen geschrieben, "zugleich müde, man hat den Eindruck, sie wissen nicht, wohin mit ihrer Jugend in dieser Gesellschaft."

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