Volker Schlöndorff: Memoiren:Das Kino - schöner als das Leben

Zeitzeuge, Beobachter, Chronist: Volker Schlöndorff hat seine Erinnerungen an ein Leben fürs Kino aufgeschrieben - auf wunderbar uneitle Weise.

Susan Vahabzadeh

Man hat den Eindruck, die Welt muss kleiner geworden sein im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts. Als Volker Schlöndorff, am 31. März 1939 in Wiesbaden geboren, ein Junge war - da war Berlin Filmgeschichte und Hollywoods Studiosystem kränkelte vor sich hin, das Zentrum des Filmgeschehens war Paris.

Volker Schlöndorff: Memoiren: Volker Schlöndorff mit der schwedischen Schauspielerin Ann-Margret bei der Oscar-Verleihung 1980: Die Augenblicke des Triumphs sind bei dem deutsche Regisseur aber eher Fußnoten in der Geschichte seines Lebens, ein kurzer Moment nach vielen Jahren Arbeit, die oft genug Sisyphos-Arbeit bleibt.

Volker Schlöndorff mit der schwedischen Schauspielerin Ann-Margret bei der Oscar-Verleihung 1980: Die Augenblicke des Triumphs sind bei dem deutsche Regisseur aber eher Fußnoten in der Geschichte seines Lebens, ein kurzer Moment nach vielen Jahren Arbeit, die oft genug Sisyphos-Arbeit bleibt.

(Foto: Foto: dpa)

Und wenn Schlöndorff sich erinnert an diese Jahre, führte immer eins zum anderen. Ging man, wie er, in Paris zur Schule, dann hatte man unweigerlich einen wie den späteren Filmemacher Bertrand Tavernier in der Klasse, der aus einer Familie stammt, die jeden kennt und einen, unweigerlich, früher oder später dem Filmemacher Jean-Pierre Melville vorstellen würde.

Noch bevor Schlöndorff selbst Filmgeschichte machte, war er mittendrin. Er habe nie von sich selbst erzählt in seinen Filmen, das hat man Schlöndorff manchmal vorgeworfen. Aber er war vielleicht einfach einer, der besessen war von der Welt um ihn herum. Das ist, für einen Filmemacher, keine schlechte Rolle - Zeitzeuge, Beobachter, Chronist.

Volker Schlöndorff hat begonnen, seine Erinnerungen zu schreiben, als er, zum ersten Mal in seiner Karriere, rausgeflogen ist - man hat ihm sein Projekt "Die Päpstin" entzogen.

Es hätte leicht ein bitteres Buch werden können, darüber, wie ihn das Kino, das Geschäft drumherum, ausgelaugt haben. Aber dazu ist Schlöndorff mit dem ganzen Geschehen wohl viel zu sehr im Reinen.

Stone würde staunen

Mit Absicht kann man die Sechziger als Sehnsuchtsort, wo dauernd überall etwas passiert, vielleicht gar nicht so beschreiben, wie Schlöndorff es tut. Manches war eben machbarer, überschaubarer.

Als Schlöndorff 1967 "Mord und Totschlag" drehte, mit der Rolling-Stones-Gemeinschaftsgeliebten Anita Pallenberg, versteckte er sie und Brian Jones in seinem Appartement in der Schwabinger Tengstraße, und als Jones als Filmmusik-Komponist versagte, tauchte Keith Richards auf und half aus. So was kann heute nicht mehr passieren, dafür würde ein Stab von Agenten, PR-Beratern und Assistenten schon sorgen.

Aber Schlöndorff war halt auch einer, der überall dabei war, wo gerade etwas los war, von der Nouvelle Vague über den Algerienkrieg bis zur Beerdigung von Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe.

Wie er 1980 "Die Fälschung" in Beirut hat drehen können? Die Crew stand unter Schutz, der ägyptische Filmemacher Youssef Chahine hatte Schlöndorff dafür eine Audienz bei Arafat verschafft - Oliver Stone, der sich für sein "Persona non grata" an Arafat abgearbeitet hat, wird vor Neid erblassen, wenn er das liest.

"Licht, Schatten und Bewegung - Mein Leben und meine Filme" ist voll von solchen Geschichten, und Schlöndorff, der ewige Zeuge, hat dafür nicht nur sein Leben und Werk geplündert - er nimmt alles mit, was am Wegesrand zu finden ist.

Zusammengepackt, was hineinpasste

Schlöndorff muss damals zumindest eine Ahnung davon gehabt haben, wie viel von dem, was er erlebte, auch fünfzig Jahre später noch spannend sein würde, zumindest hat er viel Material zusammengetragen, Tagebuchaufzeichnungen, Programmhefte der Cinémathèque Française, Taschentücher mit Lippenstiftabdrücken.

Aus diesem Fundus hat er zusammengepackt, was hineinpasste in sein Buch, Erinnerungen an die eigenen Filme und vor allem Anekdoten aus dem Leben der anderen, von Lang und Lubitsch und Wilder und Malle. Und irgendwo dazwischen wird natürlich auch Schlöndorff selber sichtbar, auf eine wunderbar uneitle Weise, auch wenn er, mit derselben Methode, manchmal ein wenig mehr aus seinem Liebesleben preisgibt, als man wirklich detailliert wissen will.

Er hätte ja leicht sich zum Großmeister des deutschen Films verklären können, der den ersten deutschen Oscar heimbrachte, bei Nobelpreisträgern ein und aus ging; über die Arbeit an "Die Blechtrommel", oft frustrierend, gibt es viele Notizen; die Augenblicke des Triumphs, die Goldene Palme und der Oscar, das sind eher Fußnoten in der Geschichte seines Lebens, ein kurzer Moment nach vielen Jahren Arbeit, die oft genug Sisyphos-Arbeit bleibt.

Die amerikanischen Jahre sind nicht die Erfolgsgeschichte der Arbeit mit den Stars Dustin Hoffman und Richard Widmark, in "Tod eines Handlungsreisenden" und "Ein Aufstand alter Männer" - sie sind eine traurige Episode aus dem Wartesaal der Träume, die einander zuraunen, was sie hätten werden wollen, hätte man sie nur gelassen . . . Schlöndorff erzählt von seinem Leben als einer, der nie zu zweifeln aufhörte, manchmal zu Recht, und der sich oft genug auf der Verliererseite wähnte. Und der sich selbst erstaunlich gelassen und selbstironisch nimmt.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie Schlöndorff mit der Legende aufräumt, es habe den jungen deutschen Film als Bewegung nie gegeben.

Das Kino - schöner als das Leben

Nichts hielt den kleinen Volker Schlöndorff im langweiligen Wiesbaden, er strebte so sehr in die Ferne, dass er selbst seine Einweisung in ein Jesuiten-Internat im nordfranzösischen Vannes betrieb - was für einen nicht besonders religiösen Knaben aus Hessen zumindest fremdartig genug war, um aufregend zu sein.

Er muss ein kleiner Streber gewesen sein, das entnimmt man der Selbstbeschreibung amüsiert, was aber immerhin die Aufnahme, mit Stipendium, am eingangs erwähnten Lycée in Paris zur Folge hatte - und dann rutschte er so rein in die sich gerade formierende Nouvelle Vague, hing in der Keimzelle der Umtriebigkeit, der Cinémathèque, herum und lernte den von seiner Rückkehr nach Deutschland frustrierten Fritz Lang kennen, assistierte Resnais bei "Letztes Jahr in Marienbad", hängte sich an Louis Malle und wurde Assistent bei Jean-Pierre Melville, dem widerspenstigen Helden der Nouvelle-Vagueaner, und machte mit ihm "Le doulos" - und sog zwischendurch Kino auf, als wäre er am Verdursten, drei Filme am Tag.

Wunderbar greifbar und real

Schlöndorff hat auch früher schon viele dieser Anekdoten erzählt oder niedergeschrieben, aber zusammen entwickeln sie mehr als nur den Reiz von filmhistorischem Klatsch, der einem einzelne Filme ein wenig näherbringt.

Sie machen diese Jahre plötzlich wunderbar greifbar und real. Wenn man liest, wie sich die Wege in Paris kreuzten, Schlöndorff und Melville nach einem Krach im Kino sich wiederfanden, Truffaut zufällig auf den Champs-Élysées herumlief, alle übers Kino schrieben und sich voneinander erzählten - dann macht das die Aufbruchstimmung spürbar, den Zusammenhalt, den es gegeben haben muss.

Und während in der Intellektuellenfamilie Tavernier das Kino Tischgespräch ist, erzählt die Randbemerkung, wie Lang aus Kostengründen die Hemdenreinigung gestrichen wurde, plötzlich von der Geringschätzung, die dem Kino in Deutschland widerfährt, und die dem deutschen Film bis heute zu schaffen macht.

Schlöndorffs Biographie ist von der Geschichte des 20. Jahrhunderts durchzogen, der deutschen und der französischen; vom Algerienkrieg handelte sein erster Kurzfilm, und irgendwie war klar, dass er zu den Ersten gehören würde, die versuchen würden, mit der RAF umzugehen.

Er sei kein ideologischer Mensch, sagt Schlöndorff, und in der Beschreibung der Mittsiebziger merkt man durchaus, dass er mehr Zeuge war als Kommentator, die Empörung über die Beugung des Rechtsstaats in seiner Böll-Verfilmung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" mehr mit ihm selbst zu tun hat als die selbstauferlegte Chronistenpflicht, die "Deutschland im Herbst" spiegelt.

Alle Wege miteinander verwoben, irgendwie

Ein Außenstehender, der hereingezogen wird, wie Katharina Blum. Der Biederkeit des Nachkriegsdeutschland, der Mentalität des Unter-den-Teppich-Kehrens muss man zumindest zugute halten, dass sie dem jungen deutschen Film ein tatkräftiger Geburtshelfer war. Und irgendwie räumt Schlöndorff ganz nebenbei mit der Legende auf, es habe den jungen deutschen Film als Bewegung, als Zusammenhalt, nie gegeben - in Schlöndorffs Erinnerung sind alle Wege miteinander verwoben, irgendwie.

Das ist das Schöne an diesem Buch - dass Schlöndorff eben nicht nur um sich selber kreist. Er hat die Filmgeschichte am eigenen Leib erfahren; und es wäre wirklich schade gewesen, hätte er uns an all dem cinephilen Tratsch, der zwischen seinen Tagebüchern auftaucht, nicht teilhaben lassen.

Man hat den Eindruck, er habe damals das Kino mehr noch geliebt als das Leben. Aber in seinen besten Momenten ist das Leben so vom Leben erfüllt, dass das nichts ausmacht, weil das Kino manchmal mehr gibt, als es nimmt.

Volker Schlöndorff: Licht, Schatten und Bewegung - Mein Leben und meine Filme. Carl Hanser Verlag, München. 472 Seiten, 24, 90 Euro.

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