Videospiel:Tore zur Hölle

"Far Cry 5" ist überraschend nah an der amerikanischen Realität: Ein stummer Spieler tritt gegen eine christliche Sekte an, die im Hinterland der USA den Aufstand probt.

Von Michael Moorstedt

Die Geier kreisen schon über dem brennenden Autowrack und über dem Straßenschild, an dem sie die Sünder aufgeknüpft haben, hier in Hope County, Montana, USA. Zugegeben: Durch ein extremistisches Amerika am Rande des Weltuntergangs zu wandern, geht im Jahr 2018 kaum noch als Eskapismus durch. Aber in der Version des Computerspiels "Far Cry 5" hat man wenigstens die Möglichkeit einzugreifen. Der Spieler steuert einen stummen Protagonisten durchs amerikanische Hinterland, wo eine militaristische christliche Endzeit-Sekte namens Eden's Gate einen ganzen Landstrich in Angst und Schrecken versetzt. Durch Gewalt, Gehirnwäsche und Grundstücksmanipulation ist in Montana ein rechtsfreier Raum entstanden, in dem allein das Wort von Anführer Father Joseph Seed gilt.

Gleich zu Beginn geht ein FBI-Einsatz fürchterlich schief, und bald steht der halbe Bezirk in Flammen, was unvermeidlich Erinnerungen an den Sturm des Davidianer-Hauptquartiers in Waco 1993 weckt. Es ist wohl kein Zufall, dass der digitale Guru das gleiche Brillenmodell trägt wie Davidianer-Chef David Koresh. Religiöser Wahn, Waffenfetischismus und Indoktrination - für Videospielverhältnisse sind das vergleichsweise sensible Themen. "Spiele werden erwachsen und nähern sich mit ihren Geschichten Film und Fernsehen an. Für mich heißt das, dass wir uns künftig auch etwas komplexeren Situationen und Charakteren stellen können", sagt Dan Hay, Creative Director von "Far Cry", selbstbewusst.

Das ist schon seit Längerem das erklärte Ziel: Wenn das Medium Videospiel schon keine Werke wie den Filmklassiker "Citizen Kane" produziert, dann doch bitte wenigstens etwas, das es mit Serien wie "Breaking Bad" aufnehmen kann.

Ist "Far Cry" ein Spiel über Donald Trumps Amerika? Oder hatten die Autoren nur sensible Antennen?

Bisweilen kommt "Far Cry" dem Konzept einer spielbaren Serie schon nah. Während er in der Rolle des letzten Vertreters von Recht und Gesetz die Sektennester ausräuchert, findet der Spieler in der Landschaft verstreut Hinweise darüber, wie es zum Aufstand kommen konnte. Man hört Nachrichten auf Anrufbeantwortern und liest handgeschriebene Notizen, die eilig an die Fliegengittertüren gepinnt wurden, bevor die rechtschaffenen Bewohner Reißaus genommen haben. Wir haben diese Leute nicht ernst genommen, heißt es dort, wir wollten nicht wahrhaben, dass es diese Leute überhaupt gibt. Es ist das traurig bekannte Verdrängen und Vergessen, bis es zu spät ist.

Far Cry 5

"Far Cry 5" wagt sich an sensible Themen: Religiöser Wahn, Waffenfetischismus und Indoktrination. Der Protagonist tritt gegen eine militaristische Endzeit-Sekte an.

(Foto: PR)

Die Abgehängten und Vergessenen, die von einer charismatischen Persönlichkeit verführt werden und sich unter dessen Fuchtel radikalisieren? Wo hat man das schon mal gehört? "Sie wollen uns unsere Waffen nehmen, unsere Freiheit, unseren Glauben", sagen die Jünger von Eden's Gate. Es sind die gleichen Soundbites, die aus den Talkshows von Alex Jones oder Rush Limbaugh tönen. Ist "Far Cry" ein Spiel über Donald Trumps Amerika? Dagegen spricht, dass die Entwicklung eines Videospiels wie "Far Cry" drei bis fünf Jahre dauert. Hatten die Ubisoft-Autoren also nur sensible Antennen für den sich bald entladenden Volkszorn?

Man wolle mit dem Spiel kein politisches Statement abgeben, betont der Produzent Hay, sondern "nur einen Ort und eine Situation schaffen, die sich real anfühlen". Das französisch-kanadische Entwicklungsstudio Ubisoft gibt sich dabei alle Mühe. Man hat einen Sektenexperten als Berater engagiert, ein PR-Event fand in der Berliner Auferstehungskirche statt. Dieses Computerspiel ist überladen mit Symbolen, Zitaten und Anspielungen. Das Logo des Kults ist eine Mischung aus Kruzifix und Eisernem Kreuz, das Cover zeigt eine Version des letzten Abendmahls, in der die waffenstarrenden Jünger Vollbärte, Trucker-Caps und Tattoos haben: Hipster-Amerika auf Abwegen.

"Far Cry" versucht fast verzweifelt, in einer ernsten Zeit relevant zu sein. Als während der Entwicklung des Spiels Details über das Setting bekannt wurden, startete die Online-Plattform Change.org eine Petition, die zum Boykott aufrief und forderte, bitte auf die gewohnten Feindbilder zurückzugreifen. Die PR-Manager dürften sich gratuliert haben.

Es bleibt der Eindruck, dass "Far Cry" gern etwas aussagen würde, es sich dann aber doch nicht traut. Sämtliche Assoziationen sind zwar erwünscht, werden aber nicht kommentiert. Das beweist nicht nur der Text, der jedes Mal, wenn man das Spiel einschaltet, extralang auf dem Bildschirm verbleibt und daran erinnert, dass es sich hierbei ja um Fiktion handelt und jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Ereignissen zufällig sei. Auch Spielproduzent Hay selbst wehrt sich in Interviews standhaft gegen Deutungsversuche.

Far Cry 5

Anders als im wirklichen Amerika kann der stumme Spieler von „Far Cry“ dem Klima aus Hass, Religion und Gewalt etwas entgegensetzen. Er kann allerdings auch entscheiden, einfach nur zum Fliegenfischen zu gehen.

(Foto: PR)

Der Aufstand in Montana hätte als überreizter Zeitgeist-Kommentar funktionieren können, so wird die ungewohnte Kulisse jedoch verschwendet.

Wann immer das Spiel droht, zu ernst zu geraten, wird der Action-Regler hochgedreht

Actionspiele sind dringend auf der Suche nach neuen Schurken. Islamisten oder Zombies haben lange genug hergehalten. Erst im vergangenen Jahr hat das Spiel "Wolfenstein: The New Colossus" einen Abstecher in ein nazifiziertes Amerika gemacht, das frappierend an Philip K. Dicks Roman "The Man in the High Castle" erinnerte. Die übliche Bananenrepublik, in der das Geballer sonst abläuft, tut es nach Ansicht der Studios schon lange nicht mehr. Dabei wird es der Mehrheit der Zielgruppe egal sein, welche Hautfarbe ihre Gegner haben und welcher Konfession diese angehören. In der Sehnsucht nach hochtourigem Spektakel ist man in der Gaming-Gemeinschaft ja erfrischend unideologisch.

Und so wird, wann immer das Spiel droht zu ernst oder zu nah an die Wirklichkeit zu geraten, der Action-Regler bis an den Anschlag hochgedreht, dann knallt es und zischt, und an jeder Ecke liegen mehr als ausreichende Mengen von Sprengstoff herum. Der digitale mittlere Westen sieht wunderbar lebendig aus. Man durchstreift schroffe Hügel und neblige Wälder, watet durch Wildwasserbäche und stapft durch Apfelplantagen. Man rekrutiert Helfer, erlöst Geiseln und befreit Bootshäuser, Ranger-Stationen, Meth-Küchen, aus den Radios dudelt dazu ein feiner Americana-Soundtrack.

Dumm nur, dass die wunderbare Atmosphäre sofort in den Hintergrund tritt, sobald man sich in der Spielwelt bewegt. So gewagt das Setting, so konventionell die Spielmechaniken. "Far Cry" steht sich selbst im Weg. Der Spielspaß überlagert wie so oft die Geschichte. Es bleibt eben eine Mischung aus Action-Spiel, Autorennen und Improvisation, in der die Spieler selbst entscheiden, ob sie der Storyline folgen und Missionen erledigen.

Man kann aber auch mit dem Quad-Bike über den Trampelpfad heizen, ein bisschen mit dem Doppeldecker durch die Gegend düsen - oder den Sektenführer einen Sektenführer sein lassen und einfach nur zum Fliegenfischen gehen.

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