Videokunst:Der Clip zum Stück

Videokunst: Viel mehr als dieses Bild sieht der Zuschauer nicht im Trailer zu "Der Fall Meursault". Wer mehr wissen will, muss in die Vorstellung gehen.

Viel mehr als dieses Bild sieht der Zuschauer nicht im Trailer zu "Der Fall Meursault". Wer mehr wissen will, muss in die Vorstellung gehen.

(Foto: Meika Dresenkamp/Filmstill)

Trailer im Netz sollen dem Zuschauer Lust machen, sich Karten für eine Inszenierung zu kaufen. Die Theater der Stadt probieren unterschiedliche Wege aus, wie das am besten gelingen kann

Von Christiane Lutz

Ein Mann sinkt langsam in schwarzem Wasser hinab, immer tiefer, mit geschlossenen Augen. Wahrscheinlich ist er tot. Dann der rote Schriftzug: "Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung". Es ist der Trailer zum gleichnamigen Theaterstück, das an den Kammerspielen läuft. Zu sehen ist er auf der Theater-Webseite und auf der Videoplattform Vimeo. Dort wird er auch dann noch abrufbar sein, wenn die eigentliche Inszenierung längst abgespielt ist.

Trailer sind, wie der Spielplan und die Ensemblefotos, inzwischen zum Standardangebot auf den Webseiten der meisten deutschen Theater geworden. Auf einer Länge von rund 90 Sekunden soll sich über Bild und Ton ein Gefühl für eine Inszenierung vermitteln. So, wie bei Kinotrailern auch. Sie sollen auch das gleiche erreichen wie ein Kinotrailer: nämlich Lust machen, sich die Inszenierung anzusehen. Und das, ohne die besten Gags und beeindruckendsten Szenen bereits zu verraten. Die meisten Theater arbeiten dafür mit szenischem Material aus der Inszenierung, manchmal aufgemotzt mit Musik und Schrift.

Geschnitten hat den Trailer für den "Fall Meursault" Susanne Steinmassl, Studentin an der Hochschule für Film und Fernsehen, die Unterwasseraufnahmen stammen von Meika Dresenkamp. Seit der Intendanz von Matthias Lilienthal macht Steinmassl die meisten der Trailer für die Kammerspiele. Im ersten Jahr lautete der Auftrag, im Trailer ein paar Fakten der Inszenierung zu vermitteln und eben Lust aufs Stück zu machen. Seit dieser Spielzeit soll und darf sie den Trailern ihre eigene Handschrift verpassen. Mehr Raum für Interpretation lassen. Gerade arbeitet Steinmassl am Trailer für "The Re'search". "Spannend daran ist, dass ja schon die Inszenierung die Adaption eines Videoclips von Ryan Trecartin ist", sagt Steinmassl. Sie wird in ihrem Trailer also den Stoff zurück in sein Ursprungsmedium führen. "Noch einmal reduzieren", sagt sie, mehr verrät sie noch nicht. Das deutet an, welche künstlerischen Möglichkeiten im Trailerformat stecken - sofern das vom Haus gewünscht ist, was nicht immer der Fall ist.

Christoph Koch, Pressesprecher der Bayerischen Staatsoper, spricht zum Beispiel eindeutig von der dienenden Funktion der Trailer: "Wir haben nicht das Bestreben, Künstler zu beauftragen, die eine weitere Interpretationsebene hinzufügen. Was auf der Bühne passiert, ist wichtig. Da hat sich ja schon ein Regisseur Gedanken gemacht." Von der Relevanz der Trailer ist Koch absolut überzeugt, gerade in der Oper, die im Gegensatz zum Schauspiel nicht von Sprache allein lebt, erreichen Trailer international ein großes Publikum.

Die Oper erstellt für jede Produktion einen Trailer und ein "Videomagazin", ein längeres Format zu Hintergründen einer Inszenierung. Zuletzt hat man sich aber etwas besonders Hübsches gegönnt: einen Vlog, also einen Videoblog, zu "Lady Macbeth von Mzensk", auf dem man in mehreren, nacheinander erscheinenden Clips Wissenswertes und Unterhaltsames zur Oper erfährt. Die meisten Zuschauer, das wusste man, hatten nämlich eher wenig Ahnung von dieser Oper von Dmitri Schostakowitsch. Das Vlog sollte sie an die Geschichte heranführen. Das macht in Teil eins kein anderer als Tatort-Kommissar und Opernfan Udo Wachtveitl (in der Oper kommen ja passenderweise drei Morde und ein Selbstmord vor). In einem anderen Teil klärt eine Russischlehrerin über die korrekte Aussprache des Operntitels auf (hier leider nicht wiederzugeben). Das Ganze ist von der hauseigenen Online-Redaktion recht professionell produziert. Solcher Aufwand und solch hohe Qualität ist allerdings nur von einem subventionierten Betrieb wie einer Staatsoper leistbar. Laut Koch steht der Staatsoper für jede Produktion "ein mittlerer vierstelliger Betrag für diese Art der Kommunikation" zur Verfügung. Das Vlog zu "Lady Macbeth von Mzensk" muss mehr gekostet haben.

Ohne vierstelligen Betrag und eher improvisiert arbeitet Manuel Braun, Regisseur und Videokünstler. Er macht seit Jahren die Trailer für die Produktionen des Volkstheaters. "Ich versuche, mit den Trailern den Atem einer Inszenierung einzufangen", sagt er. Einen lustvollen Gedanken herausgreifen, ein paar gute Sätze, ein paar Gefühle, meist in 90 Sekunden. Seine eigenen künstlerischen Visionen stellt Braun für diese Arbeit hinten an, hier ist er Diener eines anderen Regisseurs. Er glaubt an die Wirkung der Trailer im Netz: "Gerade ein junges Publikum versteht die Theatercodes oft nicht. Wenn die Marieluise Fleißer hören, denken sie an eine spießige Autorin. Mit einem Video kriegst du diese Menschen zum Hinschauen. Durch den schnellen visuellen Eindruck kannst du sie da abholen, wo sie stehen."

Er hat wohl recht: Eine Ankündigung kann noch so blumig und klug geschrieben sein, Theater und Oper bleiben audiovisuelle Erlebnisse. Daher lassen sich Eindrücke auch besser in audiovisuellen Formaten vermitteln. Nicht zuletzt wählen viele Zuschauer anhand des Trailers aus, welche Stücke sie sich auch wirklich ansehen. So ist der Trailer ein wirtschaftlicher Faktor geworden, ein kleiner zwar, aber durchaus relevant für die Ticket-Kaufentscheidung.

Einer der ersten deutschen Theatertrailer entstand übrigens bereits im Jahr 1987 im Auftrag des Theaters an der Ruhr. Für Roberto Ciullis Inszenierung von "Dantons Tod" bastelte ein Filmregisseur szenisches Material zu einem mehr als achtminütigen, eher spannungsbefreiten Trailer-Monstrum zusammen. Youtube war noch nicht erfunden, das Werk lief daher als sogenannter Filmtheatertrailer - im Kino.

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