Verurteilter Schriftsteller:Ahmed Naji - Wie Freiräume in Ägypten schwinden

Ahmed Naji

Ahmed Naji: "Der Mann, der gegen meinen Roman geklagt hat, ist Anwalt. Vier Staatsanwälte unterstützen ihn."

(Foto: privat)

Der ägyptische Schriftsteller Ahmed Naji muss wegen sexueller Passagen in einem seiner Bücher ins Gefängnis. Im Dezember sprach er mit der SZ über literarische Freiheit und Zensur.

Von Mounia Meiborg

Der ägyptische Schriftsteller Ahmed Naji, 30 Jahre alt, gilt als experimentelle Stimme der jungen ägyptischen Literatur. Er hat zwei Romane veröffentlicht ("Rodgers", 2007, und "Gebrauchsanweisung für das Leben", 2014), die beide Illustrationen und Comic-Elemente beinhalten. Jetzt muss er wegen sexueller Passagen in einem seiner Bücher für zwei Jahre ins Gefängnis. Der Autor, der auch als Kulturjournalist unter anderem für die staatsnahe Wochenzeitung Akhbar al-Youm arbeitet, habe sich der Erregung öffentlichen Ärgernisses schuldig gemacht, so das Gericht. Im Dezember sprach er mit der SZ über literarische Freiheit, Zensur und die Anschläge von Paris.

Herr Naji, Sie stehen wegen sexueller Passagen in Ihrem Buch "Gebrauchsanweisung für das Leben" in Kairo vor Gericht. Was wirft man Ihnen und Ihrem Verleger genau vor?

Ahmed Naji: Sie werfen uns vor, pornografisches Material geschrieben und veröffentlicht zu haben. Uns drohen sechs Monate bis zwei Jahre Haft. Dazu könnte eine Geldstrafe von 200 bis 2000 Euro kommen. Es geht um ein Kapitel des Buches, das in der Literaturzeitschrift Akhbar al-Adab veröffentlicht wurde. Darin geht es um eine Gruppe junger Leute, die ihr Wochenende genießen. Sie gehen aus, kiffen, haben Sex. Die Staatsanwaltschaft versteht nicht, dass das ein Roman mit fiktiven Figuren ist. Sie behandeln es als Tatsachenbericht. Dabei hat das Buch surreale Elemente. Zum Beispiel verschwindet in einem Kapitel die Stadt Kairo im Sand.

Wie verlief der Prozess bis jetzt?

Der Richter hat uns erlaubt, bekannte Schriftsteller als Zeugen vorzuladen. Sie sollen erklären, dass es sich um Literatur handelt und nicht um reale Erlebnisse. Der Richter scheint also ganz vernünftig zu sein. Andererseits war die Atmosphäre im Gerichtssaal sehr merkwürdig. Es waren Unterstützer des Mannes da, der die Klage eingereicht hat. Sie fordern eine Entschädigung. Angeblich hat das Lesen des Kapitels bei ihm Herzgeräusche, Augenzucken und Bluthochdruck verursacht.

Sind es religiöse Leute?

Nein. Der Mann ist Anwalt, wie auch die meisten seiner Unterstützer. Vier Staatsanwälte waren an der Anklage beteiligt. Normalerweise ist es einer. Aber sie wussten wohl, dass viele Journalisten kommen würden, und nutzen die Gelegenheit, um sich als Hüter der öffentlichen Moral zu inszenieren.

Haben Sie Angst?

Nein. Ich lebe dreißig Jahre in diesem Land. Ich gehe jeden Tag zur Arbeit in eine Redaktion, die von Zementwänden umgeben ist. Die sollen uns vor Bomben und Terroranschlägen schützen. Und wir haben eine Militärdiktatur, in der Leute einfach verschwinden. Ich habe also Glück, dass ich einen Prozess bekomme. Obwohl es natürlich ein kafkaeskes Verfahren ist.

2010 stand schon einmal ein Schriftsteller wegen seines Werks vor Gericht, der Cartoonist Magdy al-Shafee. Warum werden Sie gerade jetzt angeklagt? Das Buchkapitel ist ja bereits im August 2014 erschienen.

Der Kampf gegen Künstler und Journalisten erreicht zurzeit eine neue Stufe. Seit vergangener Woche gibt es eine Regelung, nach der die Leiter eines Künstlerverbands Werke verbieten dürfen. Der Leiter des Musikerverbands zum Beispiel kann auf ein Konzert gehen. Wenn er findet, dass die Musik gegen die öffentliche Moral verstößt, kann er den Auftritt absagen und die Musiker wegen Musizierens ohne Genehmigung festnehmen lassen. Die Regierung versucht, die Künstlerverbände in Zensurbehörden umzuwandeln.

Literatur wird ja in Ägypten normalerweise nicht so stark kontrolliert - anders als die Presse. Ende Oktober hatte Präsident al-Sisi verkündet, Medien und Staat sollten keine widersprüchlichen Meinungen vertreten. Danach wurde der bekannte Investigativjournalist und Blogger Hossam Bahgat vorübergehend festgenommen. Auf dem weltweiten Index für Pressefreiheit steht Ägypten auf Platz 158 von 180.

Selbst Geschäftsleute und Milliardäre sind nicht sicher. Anfang November wurde Salam Diab festgenommen, der Gründer der liberalen Tageszeitung al-Masry al-Youm. Das war eine Reaktion auf Sisis Kritik an den Medien. Sie haben ihn ins Gefängnis gebracht und ein paar Tage später wieder freigelassen. Das ist eine ihrer Methoden, um Medienleuten Angst zu machen. Unter dem früheren Präsidenten Hosni Mubarak gab es zwar auch Angst, aber auch gewisse Freiräume. Jetzt gibt es die nicht mehr. Die Behörden akzeptieren keine Meinung, die ihnen nicht gefällt.

Nach den Anschlägen von Paris ist Europa für Schriftsteller aus der arabischen Welt unzugänglicher.

Frankreich hat als Erstes seine Grenzen geschlossen - was unlogisch ist, weil die Anschläge von innen kamen. Ich sollte eigentlich im Januar für eine Buchtour nach Frankreich reisen. Jetzt bekomme ich kein Visum. Ein saudischer Geschäftsmann, der ein islamisches Zentrum in Frankreich oder Deutschland bauen will, hat keine Probleme. Aber für Künstler aus Ägypten, Syrien oder Libanon ist es seit Jahren fast unmöglich, Visa zu bekommen. Absurd finde ich auch, wie lasch die europäischen Sicherheitsbehörden mit Syrien-Rückkehrern umgehen. Als Däne kannst du nach Syrien gehen und Leute abschlachten. Dann kommst du zurück und trinkst in aller Ruhe dein Bier.

Es gab Stimmen aus der arabischen Welt, die sagten: Wo ist die Anteilnahme Europas, wenn in Beirut oder Kairo Menschen sterben?

Das ist doch Blödsinn. Die Anschläge in Paris waren ganz anders als die in Ägypten oder in Libanon. Sie richteten sich nicht gegen Soldaten oder Polizisten, sondern gegen normale Menschen, die in Restaurants, Bars und Theater gehen. Wir Ägypter haben den Islamismus ja in den Siebzigerjahren erfunden. Die Ideen kamen aus Ägypten, das Geld aus Saudi-Arabien. So war es jahrzehntelang. Der IS ist eine neue Dimension. Zum ersten Mal gibt es eine islamistische Terrororganisation, die nicht über Palästina und nicht über den Islam redet. Sie interessieren sich nur für sich selbst.

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