Verschwörungstheorien gesten und heute:Lust der Paranoiker

"Dunkle Mächte": Eine Tagung beschäftigt sich mit den handelsüblichen Verschwörungstheorien.

CHRISTOPH HAAS

Mit Verschwörungstheorien ist es wie mit den Songs von ¸¸Modern Talking" oder ¸¸Tokio Hotel": Sie sind allgegenwärtig, und es ist nahezu unmöglich, vor ihnen immer die Ohren zu verschließen. Wer sie ernst nimmt, gilt allerdings oft als schlichtes Gemüt, als jemand, der vor den Zumutungen einer komplexen Welt in einige wenige, einfache Erklärungen flüchtet. Die internationale Tagung, die sich in Konstanz unter dem Titel ¸¸Dark Powers" mit ¸¸Verschwörungen in Geschichte und Fiktion" auseinander setzte, wollte über diese reflexhafte Abwehr hinauskommen und sie - wie Eva Horn darlegte - als ¸¸Art und Modell kritischen politischen Denkens" begreifen.

Verschwörungstheorien gesten und heute: Zu den auffälligsten Merkmalen von Verschwörungstheorien zählt ihre große ideologische Flexibilität.

Zu den auffälligsten Merkmalen von Verschwörungstheorien zählt ihre große ideologische Flexibilität.

Im antiken Rom kannte man zwar nicht den Begriff der Verschwörungstheorie, gleichwohl kursierten zahlreiche Berichte von Verschwörungen; der bekannteste ist Sallusts ¸¸Die Verschwörung des Catilina". Victoria E. Pagán erläuterte, dass sich der Wahrheitsgehalt dieser Zeugnisse kaum überprüfen lässt, da sie allein aus der Perspektive der Funktionselite verfasst sind. Quellen, aus denen sich unter Umständen ein anderes Bild gewinnen ließe, fehlen: Weder gab es damals ein ¸¸Äquivalent zu den populären Medien" unserer Tage, noch sind die ¸¸Ausprägungen populärer Kultur" überliefert. Offenkundig ist, dass sich in den Erzählungen von giftmischenden Frauen, widerborstigen Sklaven und gewaltbereiten Fremden die geheime Angst der Herrschenden vor sozialem Kontrollverlust, vor dem Aufstand der systematisch Marginalisierten spiegelt.

Lust der Paranoiker

Der heutige Boom der Verschwörungstheorien findet im 18. Jahrhundert seinen Anfang. Einerseits verhalf die Vorstellung, dass nichts ist, wie es scheint, alles aber auf rätselhafte Weise miteinander verbunden ist, zur Orientierung in einer Welt, die ihre tradierten metaphysischen Werte aufgegeben hatte. Andererseits zwang die feudale Repression die Aufklärer de facto immer wieder dazu, im Verdeckten, in Geheimgesellschaften zu operieren. Das Schlüsselphantasma aller Verschwörungstheoretiker lässt sich, wie Jakob Tanner vortrug, auf Adam Smiths ¸¸Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker" zurückführen. In dem 1776 erschienenen Grundlagenwerk der kapitalistischen Wirtschaftstheorie spricht Smith von der ¸¸unsichtbaren Hand", die aus den partikularen, egoistischen Interessen letztlich eine Summe zieht, die mit dem Allgemeinwohl identisch ist. Dieser positiv gemeinten Metapher, die sowohl das Walten eines gütigen Gottes als auch die Mechanismen des Marktes verbildlichen sollte, wird seitdem ein unheilvoller, wörtlicher Sinn untergeschoben - der Wahn von der ¸¸jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung" ist dafür ein eklatantes Beispiel.

Zu den auffälligsten Merkmalen von Verschwörungstheorien zählt ihre große ideologische Flexibilität. Anhand der Kampagne anlässlich des Reichstagsbrandes analysierte Anson Rabinbach eine linke counter conspiracy theory. Während die offizielle deutsche Lesart unterstellte, Marinus van der Lubbe habe das Signal zu einem reichsweiten kommunistischen Aufstand geben wollen, behauptete das im Mai 1933 von Willi Münzenberg in Paris lancierte ¸¸Braune Buch über Reichstagsbrand und Hitlerterror", der Täter sei eine willenlose, homosexuelle Marionette in den Händen von Goebbels und Göring gewesen. Das war nicht nur frei erfunden, sondern ging auch an der Wirklichkeit der nationalsozialistischen Herrschaft vorbei: Die hatte es nicht nötig, auf phantastische Winkelzüge zurückzugreifen; das Regime konnte sich der Zustimmung oder zumindest der Toleranz weiter Teile der Bevölkerung sicher sein. Gerade wegen seines wüsten Kolportagecharakters war das ¸¸Braune Buch" aber ein ungeheurer Erfolg. Es wurde in zwanzig Sprachen übersetzt.

Das jüngste weltgeschichtliche Ereignis, das eine Fülle von Verschwörungstheorien angeregt hat, war ¸¸9/11". Peter Knight wies darauf hin, dass die offizielle Version zur Erklärung der Terroranschläge erst erstaunlich spät angezweifelt wurde; der Schock saß wohl zu tief. Seit Mitte 2002 ist aber speziell das Internet das Forum aller, die der Ansicht sind, die Bush-Regierung habe das Geschehen entweder zugelassen oder sei sogar dafür verantwortlich. Mit dem gängigen Vorwurf der Komplexitätsreduktion lassen sich manche der ¸¸9/11"-Theorien nicht mehr erklären; sie zeichnen sich vielmehr durch einen Hang zur unendlichen Verkomplizierung aus. Knight sah darin den Ausdruck eines fundamentalen Wandels: Anders als bei früheren Verschwörungstheorien will die eindeutige Identifizierung des verborgenen Übels nicht mehr gelingen. Dies bedeutet auch, dass der paradoxe Trost, der in der Paranoia lag, verloren gegangen ist; an seine Stelle ist die völlige Unsicherheit getreten.

Mit diesem Befund waren nicht alle Teilnehmer einverstanden. Dieter Groh, der in seinem Vortrag den ideengeschichtlichen Nährboden für Verschwörungstheorien bis in die Antike zurückverfolgte, wollte eine zunehmende Komplexität allenfalls an der Oberfläche, nicht in den Strukturen erkennen. Einig war man sich allerdings darin, dass Verschwörungstheorien als ¸¸politische Mythologien" seit Jahrhunderten eine Wirkungskraft zu entfalten vermögen, die subtileren soziologischen Analysemethoden immer versagt sein wird - schon daher gibt es allen Grund, ihnen eher mit Scharfsinn als mit Hochmut zu begegnen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: