Verlegerische Vorsicht:"Die Gier nach Realität wird größer"

Der Rowohlt Verlag zieht das Buch "Du fehlst mir, meine Schwester" von Norma Khouri aus dem Verkehr, bevor es überhaupt erschienen ist. Im Interview erzählt der Verleger Alexander Fest, warum man sich zu diesem Schritt entschloss - und warum das Manuskript niemand gelesen hat, als man es einkaufte.

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¸¸Du fehlst mir, meine Schwester" von Norma Khouri erzählt die Geschichte einer Jordanierin, die von ihrem Vater getötet wird, weil sie, die Muslimin, eine Beziehung zu einem katholischen Jordanier hat. Norma Khouri, als Freundin und Komplizin des Opfers, gerät selber in Gefahr und muss fliehen. In der Fremde schreibt sie den Bericht über den angeblich authentischen Ehrenmord. In Australien wird das Buch ein Erfolg. Doch dann meldet der Sidney Morning Herald Zweifel an der Authentizität: Norma Khouri lebe seit ihrem dritten Lebensjahr in den USA. Ihr australischer Verlag hat das Buch zurückgezogen, ebenso der Rowohlt Verlag, bei dem die deutsche Fassung erschienen ist. Der Rowohlt-Verleger Alexander Fest nimmt Stellung.

Verlegerische Vorsicht: So hätte das Buch aussehen können. Hätte.

So hätte das Buch aussehen können. Hätte.

SZ: Hat der Rowohlt Verlag leichtfertig gehandelt?

Alexander Fest: Ich glaube nicht. Verlage verfügen nicht über die Möglichkeiten, eine solche Geschichte dingfest zu machen. Man kann sich in solchen Fällen nur auf seine Gewährsleute verlassen: die betreffende Agentur, den Originalverlag. Und wie bei jedem Geschäft ist ein gewisses Maß good will unverzichtbar. Bei Rowohlt kommt hinzu, dass das Buch, das ja vor meiner Zeit bei Rowohlt eingekauft wurde, in der Hardcover-Vorschau als Roman und jetzt in der Taschenbuchvorschau ebenfalls in der Belletristik angeboten wurde. Viel vorsichtiger kann man eigentlich nicht sein.

SZ: Aber ist das nicht merkwürdig: Warum bringen Sie das unter Belletristik? Hatte der Verlag Zweifel, dass da was nicht stimmen kann?

Fest: Nein. Aber die so genannten Memoirs, also Erinnerungsbücher, liegen als Genre immer zwischen Literatur und Sachbuch. Die Amerikaner nennen das auch ¸¸faction".

SZ: Wie ist Ihr Vorgänger an das Manuskript gekommen?

Fest: Er hat es bei einer überaus renommierten Agentur gekauft, die eine hohe Glaubwürdigkeit besitzt.

SZ: Lag ihm das Manuskript vor?

Fest: Nein, ihm lag nur ein zweiseitiges Expose und ein kurzes Probekapitel vor. Das Manuskript selbst traf erst ein Jahr, nachdem der Vertrag geschlossen worden war, ein.

SZ: Das heißt, weltweit haben alle Lizenznehmer das Buch blind eingekauft?

Fest: Ja. Das ist üblich geworden im Zuge einer Entwicklung, die im Bücherschreiben und Büchermachen immer stärker das Geschäft sieht.

SZ: Wenn man aber bei authentischen Berichten die Katze im Sack kauft, bei wem liegt dann das Risiko, die Haftung und die Verantwortung?

Fest: Das Risiko liegt bei den Verlagen, ebenso die Verantwortung, aber die liegt auch bei denjenigen, die ihnen zusichern, dass es sich um einen authentischen Bericht handelt. Das ist in diesem Fall die Agentur.

SZ: Werden Sie Regressforderungen an die Agentur stellen?

Fest: Wir werden es versuchen. Ob das allerdings möglich ist, lässt sich schwer sagen, nicht zuletzt, weil die Agentur selbst getäuscht worden ist. Auch eine Agentur hat nicht die Mittel, Nachforschungen anzustrengen, die über Australien nach Jordanien und Amerika führen. Genauso wenig wie dies die Verlage haben.

SZ: Vor einem halben Jahr musste Rowohlt den Geheimdienstreport von Nima Zamar ¸¸Ich musste auch töten" wegen eines Glaubwürdigkeitsproblems zurückziehen. Sind das vergleichbare Fälle?

Fest: In meinen Augen nicht, schon weil bei Nima Zamar eine Fälschung nie nachgewiesen werden konnte. Außerdem fehlt hier das greifbare Motiv, das bei Fälschungen ja eigentlich nur darin liegen kann, durch den Betrug zu Geld zu kommen. Mit einem Buch wie dem von Norma Khouri - herzergreifend, aber wahr, wie schon die Agentur sagte - können Sie das in der Tat, und in Australien wurden ja auch 200 000 Exemplare verkauft. Der Geheimdienstbericht von Nima Zamar dagegen ist ein sehr harter, alle Annäherungsversuche des Lesers schroff zurückweisender Bericht über das Innenleben eines Geheimdienstes. Die finanziellen Aussichten sind da sehr, sehr gering. Auch ist mit einem solchen Buch der Verlust der bürgerlichen Reputation verbunden, wenn man erzählt, das man mit bloßen Händen andere Menschen getötet hat. Die Geschichte hat also eine ganz andere Grundlage.

SZ: Ist der Bedarf nach authentischen Stoffen gestiegen?

Fest: Unbedingt. Vielleicht ist ein Grund dafür, dass die Wirklichkeit, auch durch den Einfluss der Medien, immer mehr fiktive Züge annimmt, so dass das Bedürfnis nach dem Urstoff, nach den Realien größer wird.

SZ: Rechnen Sie damit, dass es eine Art Mentalitätswandel unter den Verlegern geben wird, bei allem, was zu schrill daherkommt, skeptisch zu bleiben?

Fest: Skeptisch musste man stets sein, Betrügereien hat es immer gegeben. Die Frage, die man sich zu stellen hat, ist, ob man zu einer Grundsatzentscheidung kommt und sagt: Solche Sachen macht man nicht mehr. Aber dann wird einem auch viel Interessantes und Gutes durch die Lappen gehen, unwahrscheinliche Geschichten, die gleichwohl wahre, aufschlussreiche, glänzende Bücher sind.

Interview: Ijoma Mangold

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