Verkünder des Literaturnobelpreises:Vor den Augen und Ohren der Weltpresse

Seit vielen Jahren tritt jeden Oktober aufs Neue an einem Donnerstag um 13 Uhr der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie vor die internationalen Kameras, um den Namen des Literaturnobelpreisträgers zu verkünden. Seit 2009 fällt diese Aufgabe dem Historiker und Autor Peter Englund zu.

Thomas Steinfeld

Nobel-Juror Englund

Peter Englund im Februar 2006

(Foto: dpa)

Das Ritual ist seit vielen Jahren dasselbe: An einem Donnerstag im Oktober, pünktlich um 13 Uhr, öffnet sich ein Flügel der großen Tür, hinter der sich in der ehemaligen Stockholmer Börse der Sitzungssaal der Schwedischen Akademie verbirgt, und der Ständige Sekretär tritt heraus, um den Namen eines neuen Nobelpreisträgers für Literatur zu verkünden. Seit 2009 ist dieser Ständige Sekretär ein untersetzter, glatzköpfiger Historiker, dessen Auftreten auch vor dieser Tür zu verraten scheint, dass er wesentlich lieber in geselliger Runde debattierte, als mit Pathos und Pomp den großen Würdenträger zu geben. Letzteres bleibt ihm nicht erspart, aber er gehorcht seinen Pflichten mit Ironie und einer heftigen Neigung zu Scherzen.

Vor 25 Jahren war Peter Englund, 1957 in Boden, weit oben im skandinavischen Norden, geboren, das Wunderkind unter den schwedischen Historikern: Damals publizierte er "Poltava", ein schmales Buch, das mit den Mitteln der französischen Mentalitäts- und Alltagsgeschichte und einigen literarischen Hinzufügungen von der Schlacht erzählte, in der im Jahr 1709 Schweden als europäische Großmacht unterging. Vor diesem Buch hatte Peter Englund nicht nur ein komplettes Studium der Archäologie und Philosophie an der Universität Uppsala absolviert, sondern war Syndikalist gewesen, Soldat der Artillerie, Mitarbeiter des militärischen Geheimdienstes und Journalist. Nebenher hatte er Brettspiele entworfen, in denen die Schlachten von Golowtschin (1708) und Poltava (1709) nachgespielt werden konnten. Dem Journalismus blieb er zumindest im Nebenerwerb treu: Immer wieder arbeitete er für schwedische Zeitungen als Kriegsberichterstatter, im ehemaligen Jugoslawien, in Afghanistan und zuletzt, im Jahr 2005, im Irak. Zu dieser Zeit war er längst Mitglied der Schwedischen Akademie.

Seit dem großen Erfolg mit "Poltava" schreibt Peter Englund alle zwei, drei Jahre ein Buch, und weil die meisten davon einen direkten Bezug auf sein Vaterland haben (und er die Alltagsgeschichte als Modell beibehalten hat), ist er zu einem im ganzen Land bekannten und beliebten Historiker des kleinen Mannes in großen und blutigen Ereignissen geworden. Herausragend und am umfangreichsten ist gewiss seine monumentale Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, von der bislang zwei Bände erschienen sind, der erste davon unter dem Titel "Verwüstung" (2001) auch auf Deutsch. Und dann gibt es selbstverständlich "Schönheit und Schrecken", seine Geschichte des Ersten Weltkriegs in 212 kurzen Kapiteln, die in alle großen europäischen Sprachen übersetzt wurde. Nicht immer sind die professionellen Historiker mit Peter Englunds Umgang mit den geschichtlichen Fakten einverstanden - aber wie sollte das auch sein, wenn gleichzeitig Fernsehserien geschrieben und die Schwedische Akademie geleitet werden müssen? An diesem Donnerstag zum Beispiel, mittags um eins, vor den Augen und Ohren der Weltpresse.

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