Verkehrsstau in London:Fader als in Wuppertal

Wer in London mit dem Auto unterwegs ist, ist selber schuld. Denn auch die kürzeste Strecke dauert immer einige Stunden, was schlimm genug ist. Wenn einen der Stau aber auf der Fulham High Street ereilt, ist es besonders bitter.

Christian Zaschke, London

Auf der Fulham High Street gibt es einen Laden für Brautkleider, einen für Sofas und einen, der im Geschäftsbereich Fingernägel tätig ist und sich "Las Vegas Nails" nennt. Klingt in dieser Umgebung etwas albern, zieht aber vermutlich besser als "Fulham Nails". Außerdem gibt es einen Laden für Reizwäsche in Übergröße, ein paar Makler und diverse abgeranzte Cafés.

Stau in London

Das Phänomen des Staus aus dem Nichts: Besonders in London bildet er sich an beliebigen Orten ohne jeden erkennbaren Grund. Es handelt sich um eine Form von höherer Gewalt, vielleicht um Magie. Immer und überall kann es einen erwischen.

(Foto: DPA-SZ)

Was es nicht gibt: irgendeinen Grund, die Fulham High Street entlangzufahren. Dass ich es trotzdem tat, lag daran, dass ich auf der Durchreise nach Südwesten war, wo ich was vorhatte.

Ich war gut vorangekommen, obwohl ich im Auto unterwegs war. Normalerweise fahre ich in London nicht mit dem Auto, weil es mehrere Stunden dauert, irgendwohin zu fahren. Es spielt keine Rolle, wohin man fährt, es dauert immer mehrere Stunden. Ich habe schon für Strecken von weniger als vier Kilometern mehrere Stunden gebraucht. Aber diesmal hatte ich ein gutes Gefühl. Ich spürte, dass es schneller gehen könnte. Und tatsächlich: Ich flog durch St. John's Wood und durch Marylebone, raste an Notting Hill vorbei, schlängelte mich durch Shepherd's Bush und passierte gelassen Hammersmith. Dann erreichte ich die Fulham High Street.

Es gibt besonders in London das Phänomen des Staus aus dem Nichts. Er bildet sich an beliebigen Orten ohne jeden erkennbaren Grund. Es handelt sich um eine Form von höherer Gewalt, vielleicht um Magie. Immer und überall kann es einen erwischen.

Wenn man Glück hat, steht man in Shoreditch herum, da gibt's einiges zu sehen. Wenn man Pech hat, steht man auf der Fulham High Street. Sicher ist nur, dass man steht, früher oder später. Diesmal war ich an einem Wochentag um 12.30 Uhr unterwegs, beste Bedingungen also, und trotzdem hatte es mich erwischt. Der Gedanke, dass in dieser Stadt in ein paar Wochen die Olympischen Spiele stattfinden, zaubert mir stets ein Lächeln ins Gesicht.

Auf der Fulham High Street ging gar nichts mehr. Wobei: Das stimmt nicht ganz. Die Fußgänger gingen. Genüsslich schlenderten sie an den stehenden Autos vorbei. Sie kauften Sofas und Brautkleider, sie ließen sich die Nägel auf Las-Vegas-Art machen, erstanden Reizwäsche in Übergröße und belohnten sich mit einem "original italienischen" Cappuccino in einem der abgeranzten Cafés.

Anschließend schlenderten sie wieder zurück, vorbei an genau denselben Autos, die noch immer an genau derselben Stelle standen, und in ihrem Blicken lag Triumph. Ihre Blicke sagten: Mag sein, dass es hier noch fader ist als in Wuppertal. Aber immerhin sind wir freiwillig hier.

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