Vergessener Dichter:Mit glühendem Draht

Ein dunkler Aufklärer wird auf einem kurzweiligen Abend im Literaturforum im Berliner Brecht-Haus wiederentdeckt: Johann Karl Wezel. In seiner Robinsonade kommt eine ganze Gesellschaft auf die einsame Insel.

Von Tobias Lehmkuhl

Schon der Name klingt ungewöhnlich: Wezel. Als Sohn zweier Hofbedienter im kleinen thüringischen Fürstentum fiel der 1747 geborene Johann Karl Wezel allerdings nicht wegen seines Namens, sondern wegen seiner schnellen Auffassungsgabe auf. Man schickte ihn mit einem Stipendium zum Studieren nach Leipzig, wo er beim damals berühmten Christian Fürchtegott Gellert unterkam.

Wezel wurde selbst schnell bekannt und auch gefürchtet. Er hatte eine spitze Feder, schrieb hochgelobte Romane, höchst erfolgreiche Lustspiele und unternahm es gar, eine fünfbändige Anthropologie herauszugeben, die erste in deutscher Sprache: "Versuch über die Kenntnis des Menschen". Davon erschienen allerdings nur die ersten beiden Bände, denn so brillant Wezel auch war, sein Eigensinn führte bald dazu, dass er es sich nicht nur mit der Zensur, sondern überdies mit allen Förderern und Bewunderern verscherzte.

Das mag ein Grund sein, warum dieser Wezel heute nur noch wenigen ein Begriff ist. Ein kurzweiliger Abend im Literaturforum im Berliner Brechthaus bot da eine gute Gelegenheit, den Mann und sein Werk besser kennenzulernen. Auf dem Podium saß neben Ralph Schock vom Saarländischen Rundfunk (der die Veranstaltung am Dienstagabend ausstrahlt) der Verleger Wolfgang Hörner, dessen Hang zu abseitigen, vergessenen und zumeist genialischen Autoren sich auch im Namen des von ihm geleiteten Galiani-Verlags niederschlägt.

Johann Karl Wezel beschäftigt Hörner schon seit den Neunzigerjahren, als der Mattes Verlag in Heidelberg eine Wezel-Gesamtausgabe in Angriff nahm, die eigentlich 1999 hätte abgeschlossen sein sollen. Von den acht Bänden ist nun allerdings erst, ebenfalls von Hörner herausgegeben, der vierte erschienen: Wezels Version des "Robinson Krusoe", eine höchst erstaunliche Um- und Fortschreibung des Defoe'schen Bestsellers.

In Wezels Robinsonade kommt eine ganze Gesellschaft auf die einsame Insel

Anders nämlich als im Original geht es Wezel nicht um die innere Entwicklung (und religiöse Bekehrung) eines Einzelnen. Indem er immer mehr Menschen auf Krusoes Eiland stranden lässt, führt er vielmehr vor, wie verschiedene Gesellschaftsentwürfe - von Monarchie bis Anarchie - Gestalt annehmen können. Entscheidender als die Vernunft und der Verstand sind für ihn dabei der Zufall, die schiere Not, aber auch die Leidenschaft, mithin die charakterlichen Unterschiede der Menschen.

Frauenraub spielt bei Wezel eine Rolle, die Religion hingegen nur insofern, als sie sich wunderbar als Kriegsgrund instrumentalisieren lässt.

Leider wollte Johann Heinrich Campe zeitgleich mit Wezel Krusoe modernisieren und auch für Kinder lesbar machen. Seine sehr viel didaktischere und behäbigere Version war denn auch viel erfolgreicher, der Streit mit seinem Konkurrenten schnell eskaliert. Eine andere Größe des damaligen Geisteslebens, Christoph Martin Wieland, hatte Wezel da schon gegen sich aufgebracht. Der befahl seinem Adlatus Johann Heinrich Merck sogar, aufs Höchste gereizt, Wezels Roman "Belphegor" "mit glühendem Draht zu peitschen".

Als der vielleicht erste wirklich freie Autor in deutschen Landen sah Wezel bald keine Möglichkeit mehr, sein Auskommen zu finden. Er ging zurück nach Sondershausen, verkam und verwilderte dort, ein thüringischer Freitag. Sogar den Fürstensohn, der den einstmals berühmten kennenlernen wollte, warf er aus seiner Kate. 1819 starb er. Man muss nicht bis zum 200. Todestag warten, um ihn wiederzuentdecken.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: