Vergangenheitsbewältigung:"Wir brauchen die Bahnhöfe"

Bahnchef Mehdorn will verhindern, dass die Ausstellung "11.000 jüdische Kinder. Mit der Reichsbahn in den Tod" auf deutschen Bahnhöfen gezeigt wird. Verkehrsminister Tiefensee erklärt im SZ-Interview, weshalb er die Schau genau dort zeigen möchte.

Michael Bauchmüller

Der Bahnhof als Ausstellungsort - zumindest in Frankreich konnte die Journalistin Beate Klarsfeld diese Idee verwirklichen. Auch in Deutschland sollte die Ausstellung "11.000 jüdische Kinder. Mit der Reichsbahn in den Tod" in Bahnhöfen gezeigt werden.

Tiefensee, Mehdorn, ddp

Damals waren sie noch einer Meinung: Verkehrsminister Tiefensee und (l.) Bahnchef Mehdorn

(Foto: Foto: ddp)

Doch Bahnchef Hartmut Mehdorn sperrt sich - er verfolgt sein eigenes Konzept, will die Geschichte im Museum aufarbeiten. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) will ihm das nicht durchgehen lassen: Nun soll Jan Philipp Reemtsma das Projekt übernehmen - auf Bahnhöfen.

SZ: Herr Minister, seit Monaten streiten Sie mit Bahnchef Hartmut Mehdorn über die Klarsfeld-Ausstellung. Warum muss denn eine Ausstellung über die Deportation jüdischer Kinder ausgerechnet auf Bahnhöfe? Ein Museum täte es doch auch.

Tiefensee: Der Nationalsozialismus war eine Diktatur, die sich im Alltag abgespielt hat und vom Alltag getragen worden ist. Es war nicht irgendeine Clique, die ein Volk verführt hat, sondern es war eine Vielzahl von Menschen, die weggesehen oder mitgemacht haben. Diktatur ist also ein öffentliche Angelegenheit. Auch die Deportation von Kindern hat sich an ganz öffentlichen Orten abgespielt, an Bahnhöfen. Deshalb gehört die Erinnerung an die gleichen Orte, auf die Bahnhöfe.

SZ: Bahnchef Hartmut Mehdorn sagt, brötchenessende Reisende und eine Holocaust-Ausstellung vertrügen sich nicht.

Tiefensee: Das ist Polemik. Ich will ein Beispiel geben: Die Deutsche Bahn hat im vergangenen Jahr auf acht Bahnhöfen sehr eindrucksvolle, aber auch aufwühlende Fotografien gezeigt, die als "World Press Foto" ausgezeichnet worden sind. Darunter waren auch Kriegsfotografien.

Ich habe die Entscheidung von Herrn Mehdorn, diese Bilder in der Öffentlichkeit auf Bahnhöfen zu zeigen, für sehr respektabel gehalten. Wenn man sich auf diese Argumentation einließe, könnte man genauso gut fragen: Was sollte dann ein Holocaust-Mahnmal inmitten Berlins? Muss ich das dann umzäunen? Es ist ja gerade die Philosophie, dieses Thema an einem zentralen Ort zu behandeln, nicht nur für eine eigens darauf hingeführte Öffentlichkeit.

SZ: Herr Mehdorn kritisiert, dies verharmlose das ernste Thema. Er nennt das "shock and go".

Tiefensee: Ich kann darin keine Verharmlosung erkennen, im Gegenteil. Aber die Bahn braucht jemanden, der mit diesem schwierigen Thema umgehen kann. Jan Philipp Reemtsma hat sich auf meine Bitte hin bereits vor Wochen bereit erklärt, die Ausstellung zu konzipieren. Frau Knobloch, die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, begrüßt diesen Ansatz.

Reemtsma sagt, er mache das unter Bedingungen: Erstens, dass nicht nur auf französische Kinder fokussiert wird. Und zweitens, dass wir an Orte gehen, an denen Deportation stattgefunden hat. Das heißt, wir brauchen Bahnhöfe. Er würde nicht zulassen, dass da ein Projekt hingeschludert wird. Und ich würde mir wünschen, dass an allen Orten, an denen die Ausstellung stattfindet, ein Prozess in Gang kommt. Dass sich Schulklassen mit der Deportation und dem Durchleiten von Kindern durch ihre Stadt beschäftigen.

SZ: Und wie soll das Konzept aussehen?

Tiefensee: Herr Reemtsma und sein Institut verantworten das Konzept. Wir streben die Eröffnung am 27. Januar 2008 an. Vorstellbar wäre es, auf einem Gleis im Bahnhof zwei Güterwaggons auszustatten. Die Sicherheitsfrage währe geklärt und ein authentischer Ort gefunden. Denkbar wäre weiterhin, persönliche Schicksale aufgreifen.

SZ: Ähnlich wie in Frankreich, mit Fotos deportierter Kinder und deren Schicksalen?

Tiefensee: Wenn ich Herrn Reemtsma und das Hamburger Institut für Zeitgeschichte richtig verstehe, denkt er darüber nach. Damit würden wir die Idee von Frau Klarsfeld aufgreifen. Wir waren ohne großes Aufsehen sehr weit, der Startschuss stand kurz bevor.

SZ: Ein Gespräch mit Mehdorn endete, gelinde gesagt, im Dissens.

Tiefensee: Wir sollten eine Meinungsverschiedenheit nicht überbewerten. Ich vertrete in der Frage der Ausstellung eine andere Auffassung als Herr Mehdorn. Er will aus dem alten Fundus der Ausstellung im Nürnberger Eisenbahnmuseum eine neue Wanderausstellung zusammenzustellen.

SZ: Über die Deportation von jüdischen Kindern?

Tiefensee: Herr Mehdorn möchte im wesentlichen eine bestehende Ausstellung über die Reichsbahn im Nationalsozialismus auf die Reise schicken. Das Schicksal jüdischer Kinder steht darin nicht im Mittelpunkt. Ich halte das nicht für einen viel versprechenden Ansatz.

SZ: Was motiviert die Bahn, sich so vehement zu wehren?

Tiefensee: Herr Mehdorn tritt zurecht dem Vorwurf entgegen, die Deutsche Bahn hätte ihre Vergangenheit noch nicht aufgearbeitet. Er sagt: Wir haben doch genug getan, was wollt ihr denn eigentlich? Selbst wenn die Bahn schon viel getan hat, begründet das keinen Schlussstrich in dieser Frage.

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