Verbrannte Kunst als Protest:Befreiendes Feuer

Fanal des Protestes oder typisch neapolitanisches Theater? Im süditalienischen Casoria werden seit kurzem Kunstwerke verbrannt. Damit soll der Blick auf die fehlende Unterstützung eines kleinen, aufmüpfigen Museums gelenkt werden. Eine Ortsbesichtigung.

Henning Klüver

Rauch steigt auf vor dem Museum. Auf einer Rampe zum Untergeschoss der Grundschule, in der das Casoria Contemporary Art Museum (CAM) untergebracht ist, brennt ein Gemälde, das an einem Gerüst aus Eisendraht hängt. Die Leinwand bläht sich auf, hohe Flammen verschlingen eine Darstellung mit surrealistischen Motiven. Die Arbeit des brasilianischen Künstlers José D'Apice, der eben noch, via Skype zugeschaltet, seinen Zustimmung zum zerstörerischen Akt gegeben hat, verpufft in weniger als zwei Minuten. Zurück bleiben ein verkohlter Rahmen und ein Häuflein nasser, schwarzer Asche.

Das Gemälde "Promenade" der französischen Malerin Severine Bourgignon steht am 17. April  in Casoria bei Neapel in Flammen

Das Gemälde "Promenade" der französischen Malerin Severine Bourgignon steht am 17. April  in Casoria bei Neapel in Flammen, dies ist ein Teil der Protestaktion des Casoria Contemporary Art Museums.

(Foto: dpa)

Feuer gehört in Neapel zum Alltag. Regelmäßig werden Stauflächen entzündet, wo in Ballen gepresster Abfall zwischengelagert wird. Neu aber ist, dass nun Kunst in Neapel brennt, genauer gesagt in Casoria (80.000 Einwohner) im dicht besiedelten Weichbild der Millionenstadt. Casoria ist urbanes Niemandsland, verschmutzt, mit Beton verschüttet, von Reklametafeln bedrängt. Selbst die Palmen, deren Stämme mit schmutzigen Binden verschnürt sind, sehen hier krank aus.

In diesem Umfeld hat Antonio Manfredi, Fotograf, Bildhauer und Ausstellungskurator, vor sieben Jahren auf Wunsch des damaligen Bürgermeisters von Casoria ein Museum für Gegenwartskunst aufgebaut. Doch kaum war er mit ersten Arbeiten in das weitläufige Kellergeschoss unter die Schule gezogen, das man ihm zur Verfügung gestellt hatte, wurde der Gemeinderat der Stadt wegen Durchsetzung mit Mafia aufgelöst.

Kulturprojekt im von Müll und Mafia belagerten Landstrich

Manfredi machte auf eigene Faust weiter, ab und zu finanziell unterstützt von der Kreis- oder der Regionalverwaltung und von privaten Spendern. Er sammelte Arbeiten von Künstlern aus über achtzig Nationen. Viele von ihnen, wie die Deutschen Astrid Stöfhas oder Manfred Mayerle, unterstützten begeistert das Kulturprojekt im von Müll und Mafia belagerten Landstrich. Bis heute sind rund 1300 Werke zusammen gekommen.

Manfredi organisierte Ausstellungen, in denen er auch die Präsenz der Camorra in seiner Heimatstadt denunzierte und machte sich damit nicht viel Freunde. Von politischen Kreisen und vom Kulturestablishment Neapels hielt er sich weitgehend fern. Seine Unabhängigkeit ist ihm jetzt zum Verhängnis geworden. Öffentliche und private Geldgeber zogen sich zurück. Inzwischen hat ihm die Gemeinde die Räume unter der Schule gekündigt.

"Panische Angst", dass sich keiner erinnern wird

Manfredi und seine Mitarbeiter, die längst unentgeltlich tätig sind, suchten öffentliche Aufmerksamkeit. Im vergangenen Jahr baten sie, weil sie in Italien keine Hilfe mehr fanden, Angela Merkel um politisches Asyl für ihre Sammlung - und konnten eine vom Goethe-Institut Neapel unterstützte Ausstellung in Berlin organisieren. In den vergangenen Monaten verhängten sie aus Protest alle Werke im Museum und zeigten nur noch Fotokopien. Doch in Italien fühlt sich keiner für das CAM zuständig, das de jure ein Privatmuseum ist.

Manfredi griff zum letzten Mittel: Seit Ostern brennen in Casoria alle zwei, drei Tage Kunstwerke, zuletzt am vergangenen Freitag Arbeiten aus Brasilien und Ägypten. Am 2.Mai soll es mit Fotografien der Österreicherin Helga Gasser weiter gehen. Manfredi hat eine "panische Angst" vor der Vorstellung, dass, wenn er morgen sein Museum schließt, "sich keiner mehr daran erinnert, dass es überhaupt existiert hat". Schließlich werde heute überall in Europa Kultur unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise einfach vergessen.

Die Zivilgesellschaft schaut dem Trauerspiel eher gleichgültig zu

In England und Wales, in Griechenland und Slowenien kam es zu Solidaritätsverbrennungen, ebenso am vergangenen Donnerstag am Tacheles in Berlin. Wenn das Geld knapp wird, zeigt sich auch im Kunstbetrieb eine Klassengesellschaft. Auf der einen Seite die großen Sammlungen der Banken und Wirtschaftsunternehmen mit ihren Starkünstlern. Auf der anderen Seite die "Underdogs", die man im CAM oder in den Kunstzentren der alternativen Szene findet. Und die proben jetzt "mit einem befreienden Feuer", so Manfredi, den Aufschwung wie ein Phoenix aus der Asche.

Antonio Manfredi, der Direktor des CAM, bei der Verbrennung eines Bildes der deutschen Künstlerin Astrid Stofhas am 23. April in Casoria.

Antonio Manfredi, der Direktor des CAM, bei der Verbrennung eines Bildes der deutschen Künstlerin Astrid Stofhas am 23. April in Casoria.

(Foto: Reuters)

Es ist wohl kein Zufall, dass der in Neapel begonnen hat, wo gestern und heute, arm und reich eng zusammen leben. Hier werden Probleme rascher, drastischer sichtbar als anderswo in Italien. In den vergangenen zwölf Monaten haben rund 10.000 Kleinunternehmen Konkurs angemeldet. Die Banken geben immer weniger Kredit, die Wucherer der Mafia springen mit Knebelverträgen ein. Die öffentlichen Einrichtungen, in Süditalien die wichtigsten Arbeitgeber, stehen selbst unter Druck. In den Kassen der Regionalverwaltung von Kampanien fehlen 500 Millionen Euro, die Gehälter der Angestellten sind nicht mehr gesichert. Der Stadt geht es kaum besser. Sie hat etwa die Gelder für die kommunale Kunsthalle (Pan) radikal gestrichen. Ohne künstlerische Leitung ist daraus ein Container für Billigausstellungen geworden.

Das MADRE, das regionale Museum für Gegenwartskunst, das einige Jahre lang über die Grenzen Neapels und Italiens hinaus leuchten konnte, ist unter politischen Druck geraten, nachdem die zuvor linke Regionalregierung von einer rechten abgelöst wurde. Leihgeber und Künstler haben inzwischen ihre Werke abgezogen, zwei der drei Stockwerke des Museums sind geschlossen.

Die Zivilgesellschaft schaut dem Trauerspiel eher gleichgültig zu, weil der langjährige Direktor des MADRE früher seine reich fließenden Finanzmittel vor anderen Kultureinrichtungen der Region eifersüchtig gehütet hat. Gegenüber dem CAM zeigt wiederum die regionale Kulturministerin Catarina Miraglia kein Mitleid. Kunst müsse man erhalten, nicht zerstören, sagt sie. Auf das Angebot von Manfredi, Werke des CAM dem MADRE zu überlassen, reagiert sie mit Schweigen.

Theater um eine "zusammengeschusterte Sammlung"?

Im Schatten der Aufmerksamkeit überlebt mehr schlecht als recht eine staatliche Einrichtung wie das "Museo del Novecento" (Museum des 20. Jahrhunderts) im Castell Sant'Elmo, das einen überraschend ansprechenden Überblick über lokale und regionale Strömungen gibt. Dessen Direktorin, Angela Tecce, die zugleich zum Leitungsgremium der Vereinigung der italienischen Museen der Moderne und der Gegenwart gehört, nennt die Vorgänge um das CAM eine "typisch neapolitanisches Theater", in dem ein "verkannter Künstler" wie Manfredi mit einer "zusammengeschusterten Sammlung" die öffentlichen Einrichtungen herausfordern will - auch wenn man den Mut bewundern müsse, mit dem er in einer kulturellen Wüste tätig geworden sei. Gerade deshalb sei das Verbrennen von Bildern das falsche Beispiel.

Mit "tiefer Traurigkeit" reagiert auch Lucia Trisorio, die große alte Dame des neapolitanischen Kunstbetriebes, auf den Niedergang des MADRE und auf die Tragödie, die sich alle paar Tage im CAM abspielt. Zusammen mit ihrem Mann Pasquale Trisorio und mit Lucio Amelio hatte sie 1965 die "Modern Art Agency" gegründet.

Heute gilt die Galerie Trisorio als eine der bedeutendsten Einrichtungen des Kunstmarktes in Neapel. In ihrer lichtdurchfluteten, mehrgeschossigen Wohnung am Hang des Vomero-Hügels findet man Dutzende Arbeiten von Joseph Beuys über Cy Twombly bis Jannis Kounellis. Das alles scheint Welten entfernt vom CAM eines Antonio Manfredi. Und zeigt doch, wie viel Kraft und Schönheit in dieser Stadt stecken.

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