"Verblendung" im Kino:Faszinierendste Figur seit langem

David Fincher verfilmt Stieg Larssons "Verblendung" neu auf amerikanisch - mit Daniel Craig und Rooney Mara in den Hauptrollen. Ein Wiedersehen des Thrillers lohnt sich. Aber ist ein Film das Zehnfache wert, nur weil er das Zehnfache gekostet hat?

Susan Vahazabdeh

Wenn Frauen im Zentrum eines großen Hollywood-Films stehen, dann haben sie im Allgemeinen gewisse Kriterien zu erfüllen. Auch die knallharten Actionheldinnen, die Angelina Jolie verkörpert, ohnehin eine relativ neue Erfindung, sind lieblich anzuschauen und erweisen sich meist als weicher, als sie sich geben.

Verblendung

Rooney Mara spielt Lisbeth Salander. Sie ist klein, schwach, verletzlich und traut keinem, aber sie lässt sich nicht unterkriegen

(Foto: Sony Pictures)

Stieg Larssons Lisbeth Salander verletzt alle Regeln, die für Kinoheldinnen je aufgestellt wurden, auf einen Schlag. Und genau deswegen ist sie sogar in ihrer zweiten Kinofassung, der Hollywood-Variante, noch die faszinierendste Figur seit langem, kraftvoll und einzigartig, schön auf ihre ganz eigene, sich allen Moden widersetzende Art, und mit einem alttestamentarischen Racheverständnis, mit dem nicht mal ihr Verbündeter rechnet, der Journalist Mikael Blomkvist.

Rooney Mara spielt Salander nun in Verblendung, sie macht das ein wenig geschmeidiger als Noomi Rapace in den ersten, schwedischen Verfilmungen, aber nicht schlechter, mit rabenschwarzer Punkfrisur und Piercings und Tattoo, mit ihrer ganzen feindselig-schnoddrigen Art. Sie ist klein und schwach und verletzlich und traut keinem, aber sie lässt sich nicht unterkriegen - und alles dreht sich um sie.

Rubikon ist überschritten

Blomkvist ist der harmlose Handlanger einer Kriegerin, auch in der amerikanischen Neufassung von Verblendung spielt Daniel Craig als Mikael die zweite Geige, und irgendwie ist er in dieser Rolle sehr gut aufgehoben. Denn vor allem dieser erste Teil ist tatsächlich eine Frauen-Story: Män som hatar kvinnor heißt der erste Teil der Trilogie von Stieg Larsson im Original, Männer, die Frauen hassen.

Für einen mächtigen schwedischen Industriellen ist der Rubikon überschritten, er hat dem Magazin Millennium und seinem Star-Reporter Blomkvist den legalen Krieg erklärt. So kommt es, dass Blomkvist einen Job annimmt auf einer entlegenen Insel, dem Hauptsitz einer Industriellenfamilie. Er soll für Henrik Vanger (Christopher Plummer), einen Konzernchef im Ruhestand, recherchieren, unter welchen Umständen vor vierzig Jahren seine geliebte Nichte verschwunden ist - und aus der ganzen furchteinflößenden Sippe scheint ihm nur Vangers Neffe (Stellan Skarsgård) wohlgesonnen.

Serie von Frauenmorden bringt die Story ins Rollen

Blomkvist kommt nicht weiter, die Hackerin Lisbeth Salander, von der Vanger ihn hat überprüfen lassen, soll helfen - und eigentlich ist es fortan sie, die die wesentlichen Dinge aufdeckt. Die einer Serie von Frauenmorden auf die Spur kommt, wie es auch eine andere junge Frau vor vierzig Jahren tat.

Beide kennen sich aus mit Unterdrückung und sexuellen Übergriffen, Lisbeth Salander, die unter Vormundschaft steht und von dem Anwalt, dem man sie anvertraut hat, vergewaltigt wird, wird getrieben von ihrer eigenen Vergangenheit. Sie hat einiges erduldet, und dabei hat sie nicht gelernt, die Welt zu fürchten - sondern bloß, dass sie ziemlich viel aushält.

Verblendung ist ein Anti-Bond, vielleicht fällt das mehr ins Gewicht, wenn Daniel Craig Blomkvist spielt. Die Welt, um die er und Salander kämpfen, ist schon verloren. Es geht nur noch darum, sich selbst zu retten.

Triumph des Underdogs

Der Regisseur David Fincher gehört zu Hollywoods Schwergewichten, machte sich vor mehr als einem Jahrzehnt schon mit Seven und Fight Club einen Namen als junger Wilder, mit Der seltsame Fall des Benjamin Button und dem im vergangenen Jahr für acht Oscars nominierten Facebook-Film The Social Network als Vertreter des Establishments.

Themendienst Kino: Verblendung

Düster, blaustichig und kalt ist die Neuverfilmung. Die Blockbuster-Hoffnungen durch das Duo Fincher/Craig konnte der Film beim US-Kinostart jedoch nicht erfüllen.

(Foto: dapd)

Warum sich ein Filmemacher diesen Kalibers auf einen ausgetretenen schwedischen Pfad begibt und das Remake eines Films dreht, der in Europa ein großer Erfolg war und dessen Romanvorlage zu den erfolgreichsten Krimis der letzten Jahre gehörte?

Weil das in den USA keinen interessiert - Verblendung ist ein Remake für den amerikanischen Markt, das man sich als Europäer mit Vorbildung, den Romanen von Stieg Larsson und den schwedischen Verfilmungen, trotzdem noch anschauen kann. Was nicht daran liegt, dass Fincher alles anders macht - sondern an der Handlung an sich. Der Plot ist und bleibt unübersichtlich - deswegen ist er nicht spannungsarm, ganz im Gegenteil: Man kann ihn einfach neu entdecken.

Dass Verblendung kompliziert ist und verflochten, dass hier Spuren gelegt werden für die Fortentwicklung der beiden anderen Geschichten, die zunächst einmal ins Nichts zu führen scheinen - das macht den Reiz der Trilogie aus.

Undurchdringliche Strukturen und Mechanik des Alltags

Larsson hat sich nicht irgendeinen kleinen Kriminalfall vorgenommen, sondern eine große Verschwörung, in der es immer wieder um Macht geht: Macht über einen Journalisten, über Konzerne, über Politiker, und, das wird in der Serie von Morden, die Salander aufdeckt, überdeutlich, Macht über Frauen. Und vielleicht macht man sich dann doch ganz gern die Mühe, sich an diesem Handlungsgewirr abzuarbeiten - weil man sich da ein bisschen an die Mechanik der Welt herantastet, an die undurchdringlichen Strukturen, die uns tagtäglich überfordern.

Über die ursprüngliche Verfilmung, die noch nicht einmal drei Jahre alt ist, weist das aber nicht hinaus - die sah auch schon wesentlich teurer aus, als sie gewesen ist, und sie war genauso düster und blaustichig und kalt. Der Regisseur Niels Arden Oplev hat selbst schon die Tugenden des amerikanischen Kinos mit denen des europäischen vermählt, mit düsteren politischen Visionen vor dem Hintergrund eines Genrefilms.

Er hat den Mut, das Publikum mit verwickelten Handlungsabläufen herauszufordern und mit knalligen Action-Sequenzen. Die Blockbuster-Hoffnungen, die man offensichtlich in das Gespann Fincher/ Craig setzte, hat der Film bei seinem Start in den USA nicht einlösen können.

Verfilmung der weiteren Teile ist fraglich

Obwohl es da immer wieder um Verbrechen in der Vergangenheit geht, um lang zurückliegende Morde und Nazi-Verbindungen aus dem Zweiten Weltkrieg, ist die Millennium-Trilogie sehr gegenwärtig: Konzernverflechtungen, Manipulation von Medien, alte Frauenfeindlichkeit gut versteckt hinter neuen Fassaden, und eine Frau, die dem am Computer beikommt - viel moderner kann ein Krimi nicht sein. Da kann man dann fast verstehen, wenn ein amerikanisches Studio das unbedingt alles ohne Untertitel noch einmal macht. Ob es den Rest der Trilogie je in einer amerikanischen Version geben wird, das ist fraglich.

So ist Verblendung zwar durchaus ein Wiedersehen wert, aber es lehrt uns trotzdem etwas über die Dimensionen, in denen Hollywood denkt: Wenn man zehnmal so viel für einen Film ausgibt, bedeutet das noch lange nicht, dass das Resultat auch das Zehnfache wert ist. Vielleicht bemisst sich der Wert eines Films manchmal an Action und Spannung und daran, ob man die nötige Technik bezahlen kann - aber das wichtigste kann man für Geld nicht kaufen: den Triumph, den man genießt, wenn der Underdog gewinnt.

THE GIRL WITH THE DRAGON TATTOO, USA 2011 - Regie: David Fincher. Drehbuch: Steven Zaillian, nach dem Roman von Stieg Larsson. Kamera: Jeff Cronenweth. Mit: Rooney Mara, Daniel Craig, Christopher Plummer, Stellan Skarsgård, Robin Wright, Joely Richardson, Julian Sands. Sony, 158 Minuten.

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