Tourismus als Fluch und Segen:Eintritt zahlen für Venedig?

Venedig Venice Canal Grande

Ausblick vom Markusplatz in Venedig, den man selten allein genießen kann.

(Foto: AFP)
  • Ende dieser Woche soll in Venedig ein neuer Bürgermeister gewählt werden.
  • Das wichtigste Thema für die italienische Lagunen-Stadt ist der Umgang mit dem Tourismus.
  • Die große Zahl der Urlauber bedroht die historische Altstadt.
  • Im Wahlkampf werden Zugangsbeschränkungen und eine Art Eintrittsgebühr diskutiert.

Von Thomas Steinfeld, Venedig

Seit einem Jahr hat Venedig keinen Bürgermeister. Ein Kommissar war im vergangenen Juli eingesetzt worden, nachdem Giorgio Orsoni, der Amtsinhaber, hatte zurücktreten müssen. Es war offenbar geworden, dass er die Korruption um MO.S.E., den Bau eines hydraulischen Damms vor der Lagune, zumindest geduldet hatte. Kurz darauf folgten ihm die 24 Stadträte der Mitte-links-Koalition.

Ende dieser Woche soll nun wieder gewählt werden. Und während es lange Zeit so aussah, als werde es, ähnlich wie bei der Landesregierung in Rom, zumindest formell zu einem Akt der Erneuerung kommen, mit dem Staatsanwalt Felice Casson an der Spitze der alten Regierungspartei, wirken die Verhältnisse nunmehr unentschieden. Denn Venedig besteht aus zwei Städten, aus dem historischen Zentrum mit seinen nur noch gut 56 000 Bewohnern, und aus der Stadt auf dem Festland, wo mehr als fünfmal so viele Menschen wohnen.

Lagune und Festland

Es ist die alte Stadt, die immer weiter in die Lagune hinabsinkt und vom immer heftiger hereindringenden Meerwasser überspült wird, die in jedem Jahr von 30 Millionen Menschen besucht wird, deren Fundamente durch die Wellen zerstört werden, die von Booten geschlagen werden, deren Luft durch die Abgase der Kreuzfahrtschiffe verpestet wird.

In der Stadt auf dem Festland aber leben die Menschen, die im Hafen von Marghera oder in der petrochemischen Industrie am anderen Ufer arbeiten, die Menschen, die aus der alten Stadt fortgezogen wird, eines leichteren, weniger behinderten Lebens wegen, und die jetzt ins Zentrum pendeln, dort stehen die großen Versorgungseinrichtungen der Region, dort leben die Studenten, die Kellner, die Bootsfahrer und die Zimmermädchen, die sich eine Wohnung in der alten Stadt nicht leisten können.

Die Bürger auf dem Festland haben anderen Interessen als die Bewohner der Altstadt: Für sie ist der Tourismus eine ebenso große wie notwendige Einkommensquelle. Und wenn im "centro storico" die Wahlplakate eines aller Voraussicht nach erfolglosen Kandidaten hängen, der die Wiedereinführung eines Zwei-Klassen-Systems für die "Vaporetti", die Wasserbusse, verlangt - Touristen und Einheimische getrennt, der permanenten Überfüllung wegen -, so ist diese Idee doch von begrenzter Reichweite.

Wer rettet Venedig - und wie?

Felice Casson ist ein Volksheld: Anfang der Siebziger deckte er eine Verschwörung auf, die vermutlich mit Unterstützung der Nato eingerichtet worden war, um im Falle einer kommunistischen Eroberung Italiens als Partisanengruppe wirken zu können. In den Achtzigern trieb er ein Verfahren gegen die petrochemische Industrie in Maghera voran, die für den Tod von mehr als 150 Arbeitern verantwortlich gewesen war, die bei der Produktion von PVC vergiftet worden waren. Er konnte Schadenersatz durchsetzen, nach Jahrzehnten.

Die Zahl der Touristen zerstört die Grundlage dieses Tourismus

Als er vor einigen Monaten die Vorwahlen innerhalb seiner Partei, des "Partito Democratico", gewann, gegen die Moderaten in der Partei und die Unterstützer der Hafengesellschaft, war das eine Überraschung.

Im gegenwärtigen Wahlkampf ist er der Kandidat, der sich am offensten gegen die Kreuzfahrtschiffe in der Stadt ausspricht. Die Sympathien der Hafenarbeiter, die ihm aufgrund der alten Verdienste gewogen sind, aber ihre Stellen behalten wollen, darf er dennoch nicht verlieren.

Weil alle Kandidaten, in Abstufungen, solche politischen Rücksichten nehmen müssen, wird die Rettung Venedigs auch dieses Mal wohl eher nicht erfolgen. Und gewiss ist auch, dass zwar jeder weiß, dass die schiere Zahl der Touristen der Grundlage dieses Tourismus, nämlich dem Zugang zu dieser einmaligen Stadt, widerspricht, alle Folgen aber aus Kompromissen bestehen werden.

Drei Ideen für den Tourismus

Offenbar will keiner der Kandidaten mehr die "grandi navi" in der Stadt sehen, und auch die Idee, die Passagierschiffe über die südliche Lagune und den "Canale Contorta" in die Stadt zu leiten, scheint nicht mehr aktuell zu sein. Stattdessen soll für sie ein neuer Hafen auf dem offenen Meer entstehen. Darauf festlegen aber will sich niemand, und das gilt auch für die Maßnahmen, mit denen in Zukunft der Tourismus geleitet und beschränkt werden soll.

Verhandelt werden dazu wenigstens drei Vorschläge: Der einfachste und wohl erfolgloseste ist die Beschränkung des Zugangs zum Markusplatz. Wenn nicht mehr so viele Menschen auf die Piazza gelassen würden, so der Gedanke, verringere sich der Tourismus.

Der zweite Vorschlag sieht eine Art Eintrittsgebühr für Venedig vor, wobei der Preis sich nach der Menge der Touristen richten soll, die sich an einem Tag in der Stadt befinden: Bis 37 000 Menschen pro Tag soll das Billett 25 Euro kosten, darüber 50 Euro, und wenn es ganz voll wird, sollen 100 Euro verlangt werden, Fahrkarten für die öffentlichen Verkehrsmittel und Eintrittsgebühr für Museen eingeschlossen - wobei allerdings nicht klar ist, warum eine große Menge Menschen immer größere Mengen anziehen soll.

Als dritte Möglichkeit schließlich wird erwogen, die Preise für alles und jedes proportional steigen zu lassen, je nachdem, wie viele Menschen in der Stadt sind. Es könnte sein, dass es, wofür man sich auch immer entscheidet, damit gehen wird wie mit der im vergangenen Jahr von der Stadt erlassenen Verordnung, dass die Souvenirverkäufer sich mit ihren Ständen an die Flächen halten müssen, die ihnen zugewiesen sind: Durchgesetzt wurde diese Regel nie, und falls es nun doch einmal geschehen sollte, in einzelnen Fällen, wird es damit auch bald wieder vorbei sein.

Ein Berg Schulden

Erst in den vergangenen Wochen entstand Felice Casson ein ernst zu nehmender Konkurrent in Gestalt des volkstümlichen Unternehmers Luigi Brugnaro, der für eine Koalition von Parteien der rechten Mitte steht. Im zivilen Leben betreibt er eine Firma für Leiharbeit, und was er verspricht, hat hauptsächlich mit mehr Arbeitsplätzen und mehr Investitionen zu tun.

Darüber hinaus soll es die Kreuzfahrtschiffe geben, und es soll einen Ausbau des Hafens geben, und der Flugplatz soll größer werden und alles andere auch. Auf die Frage, was das nutzen und wie das möglich sein soll, an einem langen Wochenende im Mai oder Juni zum Beispiel, wenn in der Mitte der alten Stadt keine Bewegung mehr möglich ist, weil die Menschen sich gegenseitig auf den Füßen stehen, wenn das Bacino vor dem Markusplatz von Tausenden Booten durchzogen wird und die schlechte Luft schwer über den Palazzi liegt, gibt es keine klare Antworten.

Aber vielleicht liegt das dringendste Problem ja woanders: Denn die früheren Stadtregierungen, allesamt der Linken zugehörig, ließen einen Berg Schulden zurück, die in diesem Jahr für ein Defizit von 72 Millionen Euro im städtischen Budget sorgen. Und auch wenn Felice Casson der redlichste Politiker Italiens wäre, so gehörte er doch zu jener alten Partei.

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