Varoufakis in Berlin:Rettet den Freak

Das Literaturfestival in Berlin ist zu Ende. Zum Abschluss gab es noch einen Stargast, den Ex-Minister Yanis Varoufakis aus Griechenland. Sein neues Buch lässt sich lesen wie ein Roman. Der Held ist ein Freak - der Euro.

Von Tobias Lehmkuhl

Man könne das neue Buch von Yanis Varoufakis wie einen Roman lesen, sagte Joseph Vogl, als er am Samstagabend neben dem Autor auf der Bühne des Hauses der Berliner Festspiele saß. Die Vorstellung, zu allem Überfluss auch noch über belletristisches Talent zu verfügen, gefiel dem ehemaligen griechischen Finanzminister sichtlich. Als Vogl, Professor für Neue Deutsche Literatur an der Humboldt-Universität, dann ausführte, "Das Euro-Paradox: Wie eine andere Geldpolitik Europa wieder zusammenführen kann" (Verlag Antje Kunstmann) habe auch eine Hauptfigur, ja einen Helden, da legte Varoufakis gerührt die Hand aufs Herz und neigte bescheiden das Haupt. Als Vogl dann aber erklärte, dieser Held sei eine Missgeburt, ein Freak, verschwand die Hand ganz schnell. Denn nicht um Varoufakis ging es Vogl, sondern um den Euro, diese vermaledeite Währung. Überraschend war das schon, denn im Grunde ging es selbstverständlich um Varoufakis an diesem letzten Abend des Internationalen Literaturfestivals Berlin.

Yanis Varoufakis ist ein wenig die Donna Leon der globalen Ökonomie: Sein Erfolg hierzulande dürfte größer sein als in seinem Heimatland oder sonst irgendwo in der Welt. Zumindest das Haus der Berliner Festspiele ist bei seinem Auftritt am Samstagabend brechend voll. Als er das Podium betritt, wird er mit Jubelrufen begrüßt, und nach jedem seiner, von beifälligem Schnaufen und heftigem Nicken begleiteten, Wortbeiträge, gibt es frenetischen Applaus.

Souverän ist, sagt Joseph Vogl, wer eigene Risiken in Gefahren für andere zu verwandeln vermag

Wortbeiträge ist freilich das falsche Wort, Kurzvorträge trifft es wohl eher. Handlich wusste Varoufakis zu erklären, worin das ganze Problem besteht, warum wir in dieser Misere stecken: "It is very simple, you know?" Ja, im Grunde ist doch alles ganz einfach. Man muss nur das Bretton-Woods-Abkommen, den Nixon-Schock und den cleveren François Mitterrand zusammenmixen, vielleicht noch etwas Magna Charta und Black Friday unterrühren, und schon ist klar: das Problem liegt in der "DNA" des Euro. Einerseits. Andererseits sind natürlich die USA an allem schuld. Denn erst haben sie jahrzehntelang ihren Außenhandelsüberschuss geschickt zum eigenen Vorteil eingesetzt, und als es den dann nicht mehr gab, haben sie sogar aus ihrem Defizit Kapital geschlagen. Joseph Vogl, ein Mann nicht nur von literarischem, sondern auch von ökonomischen Sachverstand, formulierte es in seinem letzten Buch, "Der Souveränitätseffekt", so: "Souverän ist, wer eigene Risiken in Gefahren für andere zu verwandeln vermag und sich als Gläubiger letzter Instanz platziert."

Diesen Satz zitierte der Moderator des Abends, Arno Widmann, nachdem er die beiden Diskutanten vorgestellt hatte. Danach kam er nicht mehr zu Wort. Zeigefingerschwenkend dozierte der Star des Abends, während es Joseph Vogl schließlich übernahm, eine eigentlich an Varoufakis gerichtete Publikumsfrage zu beantworten, damit seine eigene Gegenwart "nicht völlig überflüssig" sei.

Das war wohl weniger, so lässt sich zumindest vermuten, auf Varoufakis' Bühnenpräsenz gemünzt als auf die grundsätzliche Übereinstimmung der Positionen. Wobei es interessant gewesen wäre zu erfahren, wie genau Vogl den von Varoufakis den europäischen Ländern attestierten Mangel an makroökonomischer Intelligenz einschätzt.

Die USA hätten nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 und der folgenden Depression geeignete Institutionen geschaffen, um für kommende Krisen besser gerüstet zu sein, so der Grieche, dessen viril-athletisches Äußere sicher Teil an seinem Publikumserfolg hat. Europa dagegen hätte diese Krise, als eine eher schlechte Form der Bewältigung, schließlich in den Zweiten Weltkrieg geführt. Der ökonomische Imperialismus der USA sei daraus noch gestärkt hervorgegangen und hätte bis zur Krise von 2008 fortbestanden. Seither aber treibe Europa führerlos umher, nicht in der Lage, seine Währungsprobleme langfristig zu lösen.

Auch insofern ist, Joseph Vogl hatte es schon eingangs erwähnt, "Das Euro-Paradox" ein moderner Roman, denn das Buch habe ein offenes Ende. Noch ist nicht endgültig entschieden, ob die EU auseinanderbricht. Wobei Yanis Varoufakis natürlich - "it is very simple, you know" - einen Lösungsvorschlag anzubieten hat. Den wollen wir an dieser Stelle allerdings, es wäre ein schlimmer Spoiler, nicht vorwegnehmen.

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