Varieté:Alles im Griff

Bastards

Wenn alles klappt, landet das brennende Streichholz nach einem Salto im Mund - und Wessels kann seine Zigarette entzünden.

(Foto: Toofan Hashemi)

Der Jongleur und Entertainer Andreas Wessels begeisterte in Japan, Frankreich und am New Yorker Broadway. Als "Palazzo"-Gastgeber sorgte er für Zuschauerrekorde. Jetzt stellt er sein Solo-Programm in München vor

Von Barbara Hordych

Seine Fußballnummer war legendär: Der Italiener Enrico Rastelli balancierte Ende der Zwanzigerjahre im Berliner Wintergarten, auf der Höhe seines Ruhms, wie im Fluge auf einem großen Lederball und hielt gleichzeitig mehrere Fußbälle verschiedener Größe in der Schwebe: Einen zwischen Rist und Wade, einen anderen im Nacken und zwei auf vorgestreckten Zeigefingern, während am frei nach hinten schwingenden Bein auf magische Weise zwei Bälle an Ferse und Fußrücken haften blieben. Der Jongleur wurde als "Liebling der Götter" gefeiert, dem Egon Erwin Kisch eine große Reportage, Ringelnatz ein Gedicht und der Philosoph Walter Benjamin eine Erzählung widmete - und mit einer Fotografie dieser Szene avancierte Rastelli zum Werbeträger einer Nürnberger Sportartikelfirma.

Rastelli ist denn auch Bezugspunkt für den Jongleur Andreas Wessels, der am Sonntag, 15. Oktober, sein Solo-Programm "Beat the Gravity" erstmals in München vorstellt. Der 44-Jährige Berliner, den der Spiegel schon vor zwanzig Jahren zu den besten Artisten zählte, ist der einzige Deutsche, der das Jonglieren mit sechs Fußbällen beherrscht: Während er sechs fußballgroße Kugeln über seinen Körper spazieren lässt und gleichzeitig in der Luft hält, springt er über ein Seil und scheint die Schwerkraft kurzzeitig aufzuheben. "Der Junge hat Superstar-Qualitäten. Wie damals Rastelli, der Liebling der Götter", schrieb die B.Z.-Kultur über den Ball-Akrobaten. Rund um den Globus, in Japan, China und Frankreich tritt er auf, seine Broadway-Show "Vivace - vom Leichtsinn der Schwerkraft" kommentierte die New York Times mit den Worten: "Andreas Wessels is brilliant".

"Es gibt bislang niemanden, der aus der Jonglage kommt und ein abendfüllendes Programm stemmt", sagt Andreas Wessels bei einem Treffen in München. "Selbst auf dem Gipfel seines Ruhms bestritt Rastelli in Zirkussen immer nur die zweite Hälfte eines Programms". Von daher sei es schon ein Wagnis, das er mit seiner Solo-Show eingehe. Wobei der 1,92 Meter große Mann gut vorbereitet ist. Längst jongliert er nicht mehr nur mit Bällen, sondern erweckt verschiedenste Objekte zum Leben. Lässt große Ölfässer tanzen, fluffige Softbälle rotieren und flirrende Neonröhren schweben. Oder er wirbelt wie in seiner berühmten Bar-Nummer "Whiskey & Cigarettes" virtuos mit Gläsern, Zitronenscheiben, Löffeln, brennenden Zigaretten und Streichhölzern. "Ich möchte Sie jetzt mitnehmen in eine kleine Bar. Diese Bar könnte in Paris, New York - oder hier, in München sein", leitet er seinen Auftritt ein. Beispielsweise in der Gop-Varieté-Show "Lovely Bastards", wo er zugleich als einer von drei Hauptdarstellern und als Regisseur fungierte.

Da zündet er sich eine Zigarette an, indem er ein brennendes Streichholz hinter seinem Rücken in die Höhe wirft, es einen Salto beschreiben lässt, um es dann im Mund aufzufangen, wo er den Glimmstängel ohne Zuhilfenahme der Hände entzündet. Damit nicht genug. Als abschließenden "Thriller" kündigt er an, die brennende Zigarette aus dem Mund hochschnippen und nach einem vier- oder fünffachen Salto im Mund wieder auffangen zu wollen. "Wenn das klappen sollte, reagieren Sie einfach dementsprechend". Natürlich klappt es. Und das Publikum reagiert begeistert.

Andreas Wessels ist auf lässige Art schlagfertig. Weshalb er auch gerne in Personalunion von Artist und Moderator engagiert wird. Mit schnodderigem Charme führte er etwa als Gastgeber durch Harald Wohlfahrts jüngste "Palazzo"-Show "Global Players", die bis zum Frühjahr in Stuttgart zu sehen war. "Da haben wir wohl den Zuschauerrekord geknackt", sagt Wessels. Trotzdem sei es selbstverständlich eine ganz andere Sache, die Auftritte anderer Künstler zu moderieren, als nur die eigenen.

Wie löst er diese Herausforderung? Wessels überlegt, streicht sich mit seiner typischen Bewegung die schulterlangen Haare aus der Stirn und hinter die Ohren. "Als Konzept plane ich, etwas über die Entstehung der Tricks zu erzählen, an denen ich oft jahrelang gearbeitet habe", sagt er. Ohnehin werde er das oft gefragt. Beispielsweise werden die Zuschauer erfahren, wie er sein spektakuläres Ballett der tanzenden Ölfässer kreierte. "Ich probierte damals selbst schon an der Jonglage mit Blechtonnen, als ich zufällig einen Fernsehbeitrag über einen Künstler in Havanna sah, der riesige Ölfässer kreiseln ließ". Fasziniert beschloss er, nach Havanna zu reisen, wollte unbedingt diesen Mann finden. "Ohne einen Namen oder eine Adresse von ihm zu haben, eine gewisse Besessenheit gehört in unserem Metier halt dazu", sagt Wessels. Er sollte ihn finden. "Ein kleiner Mann im blauen Overall. Um ihm zu zeigen, wer ich bin und was ich von ihm wollte, konnte ich nur selbst einige Fässer kreiseln lassen". Der Austausch klappte, auch nonverbal. Das Resultat wird erneut in seiner Show zu sehen sein.

Beat the Gravity, Sonntag, 15. Okt., 19 Uhr, Pasinger Fabrik, August-Exter-Str. 1

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