Van Morrison und Tom Jones in Dublin:Kelten unter sich

Das muss Irland sein, Irland im Sommer: An einem denkwürdigen Abend im Dubliner Marlay Park bringt Tom Jones seine weiblichen Fans dazu, mit ihren Slips zu wedeln. Auf den britisch-irischen Inseln steckt halt in jedem ein kleiner Prinz Harry. Doch der eigentliche Star ist Van Morrison - er mag bloß nicht populär sein.

Willi Winkler

Das sei doch keine Musik mehr, schimpft der Prediger im Dubliner Marlay Park, außerdem sei mittlerweile sowieso alles von Außerirdischen beherrscht und das Ende nahe. "Geschieht ihr recht, der Welt." Der gute Mann trägt zum aufkommenden Regen die passende Mütze, er hat schon bessere Zeiten gesehen, viel bessere Musik gehört. "Bands wie die Rolling Stones gibt es heute nicht mehr. Oder Slade! Status Quo!" Und schon geht ein Fünf-Minuten-Wolkenbruch nieder, der mit apokalyptischer Lust die kulturkritischen Weissagungen des Predigers zu bestätigen scheint.

Irish musician Van Morrison continues European leg of tour with concert in Bilbao

Van Morrison: Umgeben von Musikern, die ihm nicht aufs Wort, sondern allein auf ein Zeichen folgen.

(Foto: REUTERS)

Das große Weltabräumen wegen eklatanten Qualitätsschwunds findet dann doch nicht statt; denn besser als Van Morrison - und Van Morrison auch noch in Dublin - geht es ja kaum. Der Regen? Die Leute haben sich einfach ihre besten Gummistiefel angezogen, und keiner, der nicht eine Regenhaut mitgebracht hätte. Die Polizei ist in großer Zahl aufmarschiert und untersagt den Miss- und Gebrauch von Alkohol in einer Bannmeile um die Bühne, damit es nicht wieder zu Ausschreitungen kommt.

In der Innenstadt von Dublin paradieren an diesem Wochenende Dreimaster auf der Liffey, ein Karussell dreht sich, der Sommer wird mit heimischem Bier und ebensolcher Blechmusik verabschiedet.

Das Konzert im Marlay Park liefert das jahrmarktbunte Seitenstück dazu und doch viel mehr. Bobby Womack war zwar aus unbekannten Gründen vom Programm verschwunden, dafür springt nun der Dubliner Blues-Musiker Don Baker ein, der wiederum Sinéad O'Connor mitbringt, die bei ihm gerade Gitarrenunterricht nimmt. Sie erscheint mit einem grünen Jumper, auf dem "Ireland" steht, hippelt gewaltig herum, singt drei Stücke und behauptet entgegen der Absicht Willie Dixons wenig überraschend, sie sei "Hoochie-Coochie Woman". Aber vielleicht wird das noch was.

Für die meisten weiblichen Zuschauer liefert bereits Tom Jones den Höhepunkt des Abends. Bis er erscheint, haben sich einige gleich teekränzchenweise noch vorne gearbeitet und offenbaren auf ihren T-Shirts, dass sie die "50 Shades of Grey" gelesen haben und deshalb Bescheid wissen.

Alterslos und mit allem Heiratsschwindler-Charme

Nicht wenige tragen einen Slip über der Hose, den sie, kaum dass der Sänger die Bühne betreten hat, kreischend in der Luft schwenken. Die ebenfalls mitgeführten Männer schauen betreten und fotografieren tapfer für die Daheimgebliebenen. Das muss Irland sein, Irland im Sommer.

Tom Jones bietet seinen ganzen Heiratsschwindler-Charme auf, tänzelt scheinbar alterslos vor seinen getreuen Faninen, zieht, wenn er einer unbekannten und zweifellos Schönen versichert, dass sie ihren Hut aufbehalten könne, selber immerhin sein Jackett aus und entblößt einmal, ganz kurz, seinen kaum vorhandenen, doch gut gebräunten Bauch. Auf den britisch-irischen Inseln steckt in jedem ein kleiner Prinz Harry.

Es ist sicher eine der absurdesten Kombinationen, die den Schmusesänger Tom Jones mit dem abweisendsten Künstler der Gegenwart zusammenspannt, aber letztlich, das sagt auch der Sex-Bombardier Jones im Abgehen, sind sie nicht bloß Freunde, sondern beide Kelten. Die tigerbesessenen Damen haben ihre bunten Slips wieder eingepackt und sich nach hinten an die Weinbar zurückgezogen. Vor der Bühne wird Platz, die Sonne bricht ein letztes Mal gleißend durch ein barockes Fenster in den Wolken, gleich danach wird es mit einem Mal tropendunkel.

Kurz vor neun ist es, als die letzte Umbaupause vorübergeht und endlich Van Morrison erscheint. Wie immer ist er in bestes Tuch und Nadelstreifen geschnürt, hat wie zugesichert den Hut aufbehalten und die Sonnenbrille nicht vergessen und sagt: nichts. Van spricht nicht, sondern singt und ist im Zweifel und schon von Berufs wegen schlecht gelaunt. Wenn er sich umdreht, erinnert er an die Zeichnung, die Wilhelm Busch von Schopenhauer anfertigte. (Auf seiner neuen Platte "Born to Sing: No Plan B", die in vier Wochen erscheint, zitiert er immerhin Sartre.)

Morrison ist Bühnentier und Entertainer genug, um mit seinem ersten Solo-Hit von 1967, mit "Brown Eyed Girl" zu beginnen und sich neu als der alte bekannt zu machen. Danach brüllt er die Klassiker seiner Belfaster Band Them hinaus, "Baby, Please Don't Go" von Big Joe Williams und "Here Comes the Night". Es sind die ersehnten Perlen für die Fans, die ihm seine Zurückhaltung mit Wellen der Liebe entgelten und mitsingen, was er kaum mehr deutlich artikulieren muss.

Das Repertoire muss Abend für Abend erarbeitet werden

Vor der Bühne ist mit einem Mal ein überwältigender Ernst eingekehrt, wie es sich für den Blues nicht anders gehört. Auch wenn den Tempowechsel vor allem die Band tragen muss, weil Morrison die höheren Töne nicht mehr schafft, ist ge-messen an "Here Comes the Night" Tom Jones' Gassenhauer "Delilah" bestenfalls das Rüpelspiel in einer Shakespeare-Tragödie.

Morrison hat sich mit sieben ausgefuchsten Musikern umgeben, die ihm nicht aufs Wort, sondern allein auf ein Zeichen folgen. Wie sich hier erweist, hat in der Kunst trotz Oktoberrevolution und Joseph Beuys nie ein Regimewechsel stattgefunden. Es regiert noch immer der Star mit eiserner Faust. Bei diesem genügt ein kurz erhobener Arm, eine abwinkende Hand, um den Vortrag zu dirigieren.

Eben noch hat ihn die Band mit allem Blech und Krach begleitet, da bricht er die Jazz-Variationen, die er selber begonnen hat, ohne sich umzudrehen mit einem Senken der rechten Schulter ab. Zwischendurch nimmt Morrison das Saxofon vor, bläst nach Liebhaberart ein bisschen bei Chris White mit, wechselt neben Paul Moore ans Keyboard, improvisiert scheinbar und bringt seine Begleiter wieder zur Räson und zum plötzlichen Schluss. Die Band folgt ihm wie einem Feudalherrscher, auch wenn ihr seine Launen mittlerweile vertraut sind.

Nach bald fünfzig Jahren im Studio verfügt Morrison über ein ungeheures Repertoire, das er in achtzig Minuten kaum andeuten kann. Was auf der Platte manchmal, bei allerdings bester Aussteuerung, bloß dahingegrummelt wirkt, muss auf der Bühne Abend für Abend erarbeitet werden. Das ist eine intime Veranstaltung, und es ist, als fände sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Die Band ist nämlich keineswegs zum Publikum gewandt, sie spielt ausschließlich für Van Morrison, verstärkt, ummantelt, beschützt das, was er um seine Lieder improvisiert. Auch wenn er in den Sechzigern in der Hitparade auftauchte und mit Them in die Nähe der Animals und der Kinks kam, war der Musikmystiker Morrison noch nie mehrheitsfähig, sondern immer gnadenloser Solipsist. Wer ihm nicht folgt, kann ihm gestohlen bleiben.

Der Gitarrist Dave Keary folgt seinem Meister aufs Tüpfelchen und begleitet die achtzehn Stücke fast makellos. Wie schwierig das sein kann, zeigt sich an dem schwermütigen "Days Like This". Das Lied mag fast zu einem gesamtirischen Friedenslied avanciert sein, Morrison holt es aus dem Gemeinbesitz zurück und singt es in einem beinah autistischen Zwiegespräch mit sich selber, als merkte er nicht, dass es gleichzeitig von den Fünfzehntausend draußen wie eine Volksweise mitgesungen wird.

Gebet in Songform

Aber auch wenn er noch so sehr in sich und die Musik in seinem Kopf versenkt ist, er kann es nicht verhindern, dass ihm selbst bei "Whenever God Shines His Light", diesem Gebet in Songform, sein Volk ergriffen folgt.

Zum Abschluss kommt das dafür vorge-schriebene "Gloria", von der Menge kundig als "G-l-o-r-i-a" mitskandiert, eine Erinnerung noch mal an Them, die Band, die 1964 in einem Keller in Belfast begann. Morrison kann, wenn er will, genauso populär sein wie Tom Jones, er mag bloß nicht. Eine Zugabe wird es nicht geben, aber sein Geist ist noch da, als die Band, mit ihrem Helden unsichtbar in der Mitte, noch lange weiterspielt. Merkwürdig, der angekündigte große Regen ist ausgeblieben.

Ein fast unhörbares "Thank you" mur-melnd, hat Van Morrison schon lange die Bühne verlassen. Kein Damenslip hat ihn begleitet, nur der Dank derer, die ihn an diesem verhangenen Abend in Marlay Park in Dublin erleben durften. Bei seinem einzigen Deutschlandkonzert wird Van Morrison am 13. September in Düsseldorf sein neues Album "Born to Sing: No Plan B" vorstellen.

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