USA und der Kampf gegen den Terror:Tut, was nötig ist!

Schlafentzug und zum Masturbieren gezwungen: Das Tribeca-Filmfestival in New York schockt mit "Taxi to the Dark Side", einem Film über die brutalen Verhörtaktiken der USA im Kampf gegen den Terror.

Jörg Häntzschel

Man muss suchen, um im zusammengewürfelten Programm des New Yorker Tribeca Film Festival, das an diesem Wochenende zu Ende geht, Höhepunkte zu finden. Ein Festival, das sich intensiv um den Dokumentarfilm bemüht. Und ein Film strahlt heraus wie ein funkelnder Kristall: "Taxi to the Dark Side" von Alex Gibney. Der Schock, den dieser Film auslöst, ist umso größer, als er alle Effekthascherei vermeidet. Und dass jedes Detail, das der Film in seiner bestechenden Argumentation aufführt, dem Zeitungsleser längst bekannt ist, macht den Schock nur noch größer.

taxi to the dark side

Die Abkapselung beginnt, der Raub der Sinne: Gefangene unter Terrorverdacht werden von US-Militärhubschraubern abtransportiert.

(Foto: Foto: Jehad Nga/Corbis/Tribeca)

"Taxi to the Dark Side" erzählt die Geschichte des afghanischen Taxifahrers Dilawar, der durch Zufall als "Terrorist" verhaftet wurde und fünf Tage später in Bagram Air Base, dem Gefängnis der amerikanischen Einheiten in Afghanistan, an seinen Misshandlungen starb. Dieser Fall dient als Rahmen für eine messerscharfe Analyse, die erklärt, wie die Bush-Regierung Folter in den Katalog legitimen staatlichen Handelns eingeführt hat.

Dilawar hatte das Pech, mit drei Fahrgästen zufällig dort den US-Truppen begegnet zu sein, wo sie einen Raketenwerfer vermuteten, mit dem ihre Basis beschossen worden war. In Bagram unterzieht man ihn der Standardbehandlung für Verdächtige - die Arme in Handschellen, die von der Decke herunterhängen, ist er gezwungen stundenlang zu stehen. Dilawar, so erzählen seine später verurteilten Peiniger, ging ihnen mit seinem Geschrei und seiner Weigerung, "Informationen" preiszugeben, auf die Nerven.

Dass ihnen von der ersten Minute an klar war, dass er mit dem Raketenangriff nichts zu tun habe, änderte nichts. Gerade seine Unschuld und seine Unfähigkeit, Brauchbares zu liefern, besiegelte sein Schicksal: Die Verhörer, unter Druck, den Angriff aufzuklären, taten wie ihnen geheißen war. Sie verschärften die Methoden, traten immer wieder gegen seine Beine, bis er irgendwann tot war. Der Öffentlichkeit wurde erzählt, "natürliche Gründe" hätten den Tod verursacht. Doch der Bericht der Armee-Gerichtsmedizinerin liest sich ganz anders. "Homicide", Mord steht dort als Todesursache. Seine Beine seien "Matsch" gewesen, erklärte sie später - hätte er überlebt, man hätte sie amputieren müssen.

Um zu erklären, was hier passiert ist, legt der Regisseur Schicht für Schicht frei: findet eine Antwort, erklärt sie für unzureichend und steigt ein Stockwerk tiefer ... Ausgangspunkt ist die offizielle Erklärung für das, was auch in Abu Ghraib passierte: Ein paar schwarze Schafe seien eben unvermeidlich, und die hätten ja auch ihre Strafe bekommen. Es war Gruppenzwang im Spiel, auch ein Moment der Rache, das bestätigen die freundlichen Soldaten. Doch sie erzählen auch von ihrer fehlenden Ausbildung in Verhörtechniken - und vom völligen Fehlen von Regeln. "Es hieß: Tut, was nötig ist." Ja, man hatte gehört von der Genfer Konvention, aber das hier, das waren doch Terroristen!

Es war mehr im Spiel als Hooligan-Gehabe von überforderten Zwanzigjährigen. Die Bush-Regierung, so zeigt der Film, erzeugte mit blanken Lügen, Horrorgeschichten, moralischen und patriotischen Beteuerungen und dem Leitmotiv der 3000 Toten des 11. September eine Propagandakulisse, deren manipulative Gewalt die - allerdings geringe - Widerstandskraft von Öffentlichkeit, Soldaten und Parlamentariern zuverlässig ausschaltete. Und lieferte kontinuierlich frische Absolution für die unfassbarsten Verbrechen, erzeugte im Moment scheinheiliger Verurteilung für gerade bekannt gewordene Verbrechen den Druck, weitere, ähnliche zu begehen. Ganz bewusst, so erklären Anwälte, Armeeleute und die Betroffenen selbst, habe man sie im Unklaren über ihre Aufgaben gelassen.

Doch auch damit ist Alex Gibney nicht zufrieden. Wenn es sich hier wirklich nur um einen Fall kalkulierter kollektiver Brutalisierung handelte, wie sind dann die vielen Zeichen äußerst methodischen Vorgehens bei der Behandlung von Gefangenen wie Dilawar zu erklären? Die alles verdunkelnde Brille, die den Gefangenen aufgesetzt wird, die Ohrenschützer, die "Stresspositionen"? Und warum gleichen alle diese Methoden denen, mit denen die Gefangenen im CIA-Lager von Guantanamo Bay schikaniert werden? Die Erklärung liefert der CIA-Experte Alfred McCoy. Die CIA, so sagt er, habe seit der Ratifizierung der Genfer Konvention und aus der Einsicht, dass physische Gewalt kontraproduktiv sei, jahrzehntelang nach Methoden psychologischer Folter gesucht. In Guantanamo, das von General Miller als "wahres behaviouristisches Labor" geführt werde, wendet man die Erkenntnisse an.

Mix der Folter-Praktiken

Der Prozess umfasst mehrere Schritte: Der erste besteht in einem Generalangriff auf die Sinne: donnernd laute Musik, Hundegebell, Stroboskop-Licht und quälende Körperhaltungen. Im nächsten Schritt wird der Gefangene planmäßig erniedrigt: Er wird ausgezogen, nackt verhört, muss in Frauenunterwäsche posieren, wird von weiblichen Aufsehern beleidigt und zum Masturbieren gezwungen. In einem dritten Schritt spricht man seine individuellen Ängste an: bedroht ihn mit Hunden, kündigt seine Exekution an, erzählt ihm, seine Freunde sagen, er sei schwul.

Doch die simpelsten, weil zunächst so harmlos erscheinenden Methoden sind der Schlafentzug und die "sensorische Depravierung", der Entzug von Sinnesreizen, die "sicherste und einfachste Methode, bei einem Menschen innerhalb kürzester Zeit einen psychotischen Zustand auszulösen". Als Höhepunkt wird dann das die schon im Mittelalter verbreitete Methode des "waterboarding" angewandt: eine Todesangst auslösende Simulation des Ertränkens.

Dieser Mix der Praktiken hat für die Befehlshaber den Vorteil, dass keine seiner Komponenten die Kriterien für Folter als physisch gewaltsames Handeln erfüllen. Seit der Supreme Court die Einhaltung der Genfer Konvention auch gegenüber "feindlichen Kämpfern" im Krieg gegen den Terror angeordnet hat, wirbeln Bush, Cheney und ihr Lakai Alberto Gonzales die Definitionen und Praktiken durch die Luft, ohne jemals das Gesamtkonzept zu offenbaren.

Ein Krieg aus Information

Die anhaltende Debatte um die Verhörpraktiken kommt dem Bush-Regime aber gar nicht ungelegen. Bietet sie doch immer wieder Gelegenheit, von der Entschlossenheit zu erzählen, mit der gegen die "Terroristen" vorgegangen werde. Was Bush und Cheney nicht sagen, ist, dass nur 7 Prozent der 750 in Guantanamo Inhaftierten tatsächlich von amerikanischen Einheiten festgenommen wurden. Die übrigen 93 wurden von Landsleuten gegen Dollars bei den GIs abgeliefert: "Weil ein Opiumbauer gerne das Feld seines Nachbarn übernehmen will", wie ein hoher Armeemann sagt. Guantanamo ist Anti-Terror-Theater.

Eines der Schlüsselelemente von Colin Powells UN-Rede, mit der er den Einmarsch im Irak rechtfertigte, war die Aussage eines hohen Al-Qaida-Mannes, es habe Kontakte zu Saddam Hussein gegeben. Er gab diese "Information" preis, nachdem man ihn dem Waterboarding unterzogen hatte. Ein ganzer Krieg aus nichts als in Todesangst gestammelter "Information".

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