USA:In der Kriegsmaschine

Cover POLBUCH

Lynsey Addario: Jeder Moment ist Ewigkeit. Als Fotojournalistin in den Krisengebieten der Welt. Econ-Verlag Berlin 2016, 368 Seiten, 25 Euro.

Die Fotoreporterin Lynsey Addario hat eine spannende Autobiografie über Krisengebiete, Liebe und guten Journalismus geschrieben. Dabei beantwortet sie auch die Frage, warum sie sich immer und immer wieder in Lebensgefahr begibt.

Von Robert Probst

Ein abgelegenes Tal in Afghanistan an der Grenze zu Pakistan. Auf einem Höhenrücken 2000 Meter über dem Meer kämpft eine Spezialeinheit der US-Armee gegen aufständische Taliban. Tagelang liegen sie sich gegenüber, die Amerikaner lassen 900-Kilo-Bomben über den Dörfern abwerfen, in denen sie hochrangige Taliban-Führer vermuten, die Islamisten schießen mit russischen Kalaschnikows zurück. Amerikaner sterben - und zur Vergeltung werden weitere Kampfbomber angefordert und noch mehr Dörfer zerstört. Die sogenannten Kollateralschäden, zivile Opfer, Frauen, Kinder, werden in Kauf genommen. Und mittendrin, "eingebettet" in die Spezialeinheit, eine Frau mit Fotoapparat, die sich zwischen Angst, Wut und Verzweiflung Gedanken macht: "Wir befanden uns am trostlosesten Ort auf Erden, der außer uns vollkommen menschenleer war, und ich fragte mich, warum wir in diesem Bergwald im Namen der Demokratie kämpften. Wir setzten unser Leben für eine Politik aufs Spiel, die nicht funktionierte."

Lynsey Addario, 42, hat in der Tat ihr Leben oft auf Spiel gesetzt als Kriegsfotografin in zahllosen Krisengebieten der Welt. Nun hat sie ihre Erinnerungen an diese zehrenden 15 Jahre aufgeschrieben. Herausgekommen ist dabei eine spannende und rasante Reportage aus dem Herzen der Finsternis, sei es nun Afghanistan, der Irak, Libyen oder Darfur. Gleichzeitig beschreibt die Pulitzerpreisträgerin aber die Großzügigkeit und Gastfreundschaft der Einheimischen, die oft aus Sicht des Westens unterschiedslos nur als "der Feind" apostrophiert werden. Wenn US-Soldaten im Kriegsgebiet nachts in ein Haus von Muslimen eindringen, es durchsuchen, Befehle brüllen, die Ehefrau sehen - dann ist das eben für jeden Muslim eine Demütigung, ganz gleich ob er schuldig, verdächtig oder unbescholten ist. Und zum Freund der USA wird nach so einer Nachtaktion selten einer.

Addario hört zu, sie schaut stundenlang zu, bevor sie ein Foto macht, sie will die kulturellen Unterschiede verstehen - und es geht ihr immer um die Menschen. Sie stehen im Mittelpunkt, ob im Alltag, kämpfend, verletzt oder gar sterbend. Sie sind immer Subjekt, nie Objekt der Schaulust. Im Buch selbst sind einige eindrucksvolle, aber leider nur wenige Bilder zu sehen.

Herausgekommen ist aber auch eine tiefe Reflexion über den Beruf des Kriegsreporters, seine Weltsicht und seine Mühen, damit die Öffentlichkeit die ganze Wahrheit erfährt. "Der Journalismus ist ein selbstsüchtiger Beruf", das weiß nicht nur Addario. In Afghanistan, im Jahr 2007, saß sie auf der falschen Seite des Tals, während ihre Kollegen "die menschlichen Kosten des Krieges" dokumentieren konnten. "Ich war gekommen, um Zeugnis abzulegen, konnte jedoch nichts bezeugen", heißt es da im oft ein wenig dick aufgetragenen Ton. Selten wurde die Hybris von Kriegsreportern ("Bis zu dem Augenblick, in dem man verwundet, verschleppt oder erschossen wird, glaubt man, unbesiegbar zu sein.") stärker ausgeleuchtet, selten das brutale Gewerbe - wer kommt als Erster rein? Wer bringt am schnellsten die Bilder wieder raus? Wer ersetzt den, der sich nicht traut? -, aber auch die Kameradschaft der Reporter in Krisengebieten eindrucksvoller beschrieben. Und es wird erzählt, wie manche Redaktionen es ablehnten, bestimmte Bilder zu drucken, weil sie ihnen zu brutal oder zu real für die amerikanische Öffentlichkeit erschienen.

Nicht zuletzt aber ist das Buch auch eines über die Liebe. Von zerbrochenen Beziehungen ist die Rede, von der Sprachlosigkeit zwischen solchen Menschen, die mittags im Park Zeitung lesen, und solchen, die Nacht für Nacht praktisch schutzlos unter Feindbeschuss stehen. Und nicht zuletzt geht es darum, was man seinen Liebsten antut, wenn man der Kriegsmaschine zu nahe kommt oder wie Addario in Libyen 2011 eine Woche lang in Gefangenschaft des Gaddafi-Regimes gequält wird.

Der Preis, den Addario und die anderen Kriegsreporter für ihre Arbeit zahlen, ist hoch. Sie ist sich bewusst, dass ihre Erfahrungen Traumata ausgelöst haben. Aber für die Reporterin, die schon für die New York Times, National Geographic und das Time-Magazin arbeitete, ist die Angst eine akzeptierte Begleiterscheinung ihres Weges. Sie spricht von ihrer Lebensaufgabe und einer Berufung, auf dass sich die Öffentlichkeit ein Bild machen kann.

Addario hat kein klassisches Sachbuch über den Krieg im 21. Jahrhundert geschrieben, sondern ein Buch über die Bedeutung des Journalismus für eine funktionierende Gesellschaft und eine Betrachtung über das Beste und das Böseste im Menschen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: