Klar, man muss sich das Kinnbärtchen wegdenken und das Tattoo auf dem Hinterkopf. Aber zwischen den Vorderzähnen hat er diese bubenhafte Lücke. Sie ist inzwischen winzig, er hat sich die Zähne machen lassen. Und trotzdem: Wer sich den kleinen Jamie Foxx vorstellt, der kann besser verstehen, warum dieser Mann jetzt ein blaues, durchgeknalltes Monster spielt. Eine Rolle, die eigentlich zu billig ist für einen Oscar-Gewinner. Oder? "Quatsch", sagt Foxx, "jedes Kind träumt davon, einen Superhelden zu spielen." Jamie Foxx, das ewige Kind. So einfach ist das. Und so kompliziert.
Er lümmelt in einem Plüschsessel im Hotel Adlon, an den Fenstern hängen fingerdicke Samtvorhänge, seine Schuhe versinken im Teppich. Jamie Foxx ist nach Berlin gekommen, um über seine Rolle im neuen Spider-Man-Film zu reden. Über Electro, der - bevor er zum blauen Monster mit Superkräften mutiert - eine arme Wurst ist. Ein verklemmter Stromtechniker, den die Kollegen mobben und die Frauen übersehen. Als dann die eigene Mutter seinen Geburtstag vergisst, entlädt sich Electros gestaute Weltwut - und er fängt an, mit tödlichen Blitzen um sich zu ballern. "Electro ist ein gebrochener Kerl. Für einen Schauspieler ist es großartig, so einen Charakter zu spielen", sagt Foxx.
"Ich kenne das aus meiner eigenen Kindheit"
Er erzählt das so inspiriert, wie man das tut, wenn im 20-Minuten-Takt ein neuer Reporter reinkommt, aber die gleichen Fragen stellt wie der vorherige. Aber hakt man bei der Sache mit der Mutter und dem vergessenen Geburtstag nach, ändert sich das. Er lümmelt nicht mehr. Er krallt sich mit beiden Händen im Sitzpolster fest, drückt den Rücken durch und sagt: "Ich kenne das aus meiner eigenen Kindheit: Ich habe Geburtstag gefeiert, aber meine Mum kam erst zwei Tage später und sagte: Honey, du weißt ja, ich liebe dich, aber ich hatte zu tun. Das tat nicht gut." Plötzlich fühlt man sich nah dran an Foxx. Und noch näher an dem kleinen Jungen, der er mal war.
Spricht Jamie Foxx über seine Rolle, geht es eigentlich um ihn selbst. Er macht da kein Geheimnis draus, irgendwie gehört das ja auch zur PR. Also erzählt er seine Geschichte. Dass er als Eric Bishop in einem Kaff in Texas geboren wurde; dass er sieben Monate alt war, als seine Eltern ihn im Stich ließen, weil sie ihn nicht ernähren konnten; dass er von seinen Großeltern adoptiert wurde. Früher hat er wenig darüber gesprochen, jetzt sagt er: "Das holt dich alles ein. Ich werde bald 50, da fängst du an dich zu fragen: Was ist das alles wert?" Klingt, als stelle da jemand sein Leben in Frage. Oder ist es die Midlife-Crisis?
Schwer vorstellbar bei einem, der ein Leben lebt, als stecke er seit 20 Jahren pausenlos in einer Midlife-Crisis. Er fährt einen tarnkappengrünen Lamborghini mit Flügeltüren. Er hat zwei Töchter von zwei verschiedenen Frauen. Hat den Ruf, ein Playboy zu sein, auf seinen Partys wird nackt Basketball gespielt. Einmal soll er Colin Farrell bei Dreharbeiten so unter den Tisch gesoffen haben, dass sie ihn direkt in eine Entzugsklinik fliegen mussten. Und mit Ende Dreißig hat er einen Rap-Song mit einem Refrain geschrieben, der so geht: "Sex, die ganze Zeit Sex / Sex in meinem Kopf / Sex, wo immer ich gehe / Sex, ich versuche es dir zu erzählen / Sex, er ist stärker als jede Droge oder Liebe / Ooooh, Sex." Jamie Foxx, der ewig Pubertierende.
Einfach chillen, sagt Foxx
Wäre Foxx Deutscher, hier hätte man längst aufgehört ihn ernst zu nehmen. Ewig-Pubertierende werden in Deutschland öffentlich zerlegt, man muss nur Lothar Matthäus fragen. Aber Deutschland ist ja auch ein Land, das den amerikanischen Traum nur aus der Ferne kennt. Und Foxx verkörpert nicht weniger als diesen Traum, über Klassen- und Rassengrenzen hinweg. Als Teenager verließ er die texanische Provinz, um sein Glück in Los Angeles zu versuchen. Mit 18 begann er dort als Schuhverkäufer, mit 38 bekam er in der selben Stadt den Oscar für seine Rolle als Soul-Legende Ray Charles. Und ein Jahr später stand er mit seinem Rap-Album "Unpredictable" auf Platz eins der US-Charts.
Mehr amerikanischer Traum geht nicht. Und jetzt sitzt er im plüschigen Adlon, trägt einen Schal in Farben der US-Flagge um den Hals und stellt allen Ernstes sein Leben in Frage? "Ich würde es nicht Midlife-Crisis nennen, es ist eher ein Erwachen", sagt Jamie Foxx - und verrät, was sein Leben auf den Kopf gestellt hat. Vor ein paar Monaten ist seine Mutter bei ihm eingezogen, in seine 16-Hektar-Avocado-Ranch in Santa Barbara. Jahrelang, sagt Foxx, sei sie gar nicht gekommen: "Und wenn sie doch mal kam, blieb sie eine Nacht und ging wieder. Diesmal kam sie, blieb einen Tag, zwei Tage, eine Woche, einen Monat. Und jetzt ist sie immer noch da. Sie trinkt Bier, isst Sandwiches und chillt einfach."
Einfach chillen, sagt Foxx, und lümmelt sich wieder tief in den Sessel. Vielleicht färbt die Ruhe seiner Mutter ab, vielleicht hat er durch die Versöhnung seinen Frieden gefunden. Es ist ja nicht lange her, da hat Jamie Foxx erzählt, wie er sich seinen 100. Geburtstag vorstellt. Dass er sich 100 Tänze von fünf 20-jährigen Stripperinnen wünsche. Jetzt klingt das anders: "Ich bin Mitte 40, hänge immer noch in Clubs rum und mache diese Kinder-Scheiße. Ich frage mich: Will ich das mit 50 immer noch machen?" Eine Antwort gibt er nicht, für eine Nachfrage ist es zu spät. Die Zeit ist um, sagt die Pressefrau. Ein Händedruck, dann verlässt Jamie Foxx den Raum mit den Samtvorhängen. Zurück bleiben Fußabdrücke im tiefen, plüschigen Teppichboden. Und das Gefühl, dass das ewige Kind gerade dabei ist, erwachsen zu werden.