Männlichkeit in der Krise:"Trump macht die männlichste Politik, die wir je hatten"

Männlichkeit in der Krise: Wütende weiße Männer waren das Rückgrat der Trump-Wählerschaft.

Wütende weiße Männer waren das Rückgrat der Trump-Wählerschaft.

(Foto: AP; Bearbeitung SZ)

Viele wütende weiße Männer in den USA fühlen sich von einer "weibischen Regierung" gegängelt, sagt der Soziologe Michael Kimmel. Und erklärt, welches Problem AfD-Wähler mit Merkel haben.

Interview von Johanna Bruckner, New York

Michael Kimmel hat mit Aussteigern aus der Neonazi-Szene gesprochen und mit ehemaligen Dschihadisten. Er hat Maskulinisten interviewt und jene Männer getroffen, die hauptverantwortlich dafür sein sollen, dass Donald Trump US-Präsident ist: wütende weiße Männer. Herausgekommen ist ein Buch, das erklärt, wie bestimmte Männlichkeitsbilder und extreme politische Einstellungen zusammenhängen. "Angry White Men: American Masculinity at the End of an Era" ist in diesem Frühjahr in einer aktualisierten Fassung erschienen. Kimmel ist Direktor des Center for the Study of Men and Masculinities der Stony Brook University in New York und lebt in Brooklyn.

SZ: Mr. Kimmel, ich würde Ihnen gerne ein Foto zeigen. Es wurde bei der diesjährigen Conservative Political Action Conference (CPAC) in Washington aufgenommen, einem Treffen amerikanischer Konservativer. Was kommt Ihnen in den Kopf, wenn Sie das Bild betrachten?

Michael Kimmel: Die beiden zentralen Figuren fangen für mich zwei Dinge ein: Einmal ist da offensichtlich eine Wut, die Wut des weißen Mannes. Und die andere Sache: Gucken Sie sich den Typ links im blauen Hemd an - er repräsentiert für mich das triumphale "Wir haben gewonnen!" der Trump-Wähler. Es geht also um Wut, und es geht ums Gewinnen.

Männlichkeit in der Krise - ein Schwerpunkt

Dem Mann geht es nicht gut. Heißt es gerade immer wieder. Man gibt ihm die Schuld an allem, was schief läuft in der Welt. Sexismus, Gewalt, Populismus. Was ist los mit dir, Mann? Zeit für eine Inspektion.

Viele politische Beobachter werten die vergangene Präsidentschaftswahl als backlash of the angry white men, also das Zurückschlagen der wütenden weißen Männer. Stimmen Sie dem zu?

Teilweise. Angry white men, wie ich sie auch in meinem Buch nenne, waren das Rückgrat der Trump-Wählerschaft. Aber der Ausdruck angry white men greift zu kurz, er beschreibt nicht akkurat, wer Trumps Wähler hauptsächlich sind. Es sind nicht weiße Männer aller Klassen und Positionen. Sie stammen vor allem aus der Arbeiterklasse oder der unteren Mittelschicht. Sie werden beispielsweise nicht viele Trump-Unterstützer in den weißen männlichen Eliten in New York finden. Den besten Zusammenhang, den ich Ihnen geben kann, ist: Trump-Wähler leben in den am wenigsten diversen Städten der USA.

Zum Beispiel?

Jeder Ort, der keine große Stadt ist. Je urbaner die Bevölkerung, desto geringer die Anzahl der Trump-Unterstützer. Ich glaube, Trump hat keine Stadt mit mehr als 250 000 Einwohnern für sich entscheiden können.

Warum sind diese Männer wütend?

Sie sind wütend, weil sie das Gefühl haben, alles richtig gemacht zu haben, aber nicht das zu bekommen, worauf sie ein Anrecht haben. Das ist das Hauptargument in meinem Buch. Sie haben an einen Traum geglaubt, den Traum ihrer Großväter: dass du, wenn du hart arbeitest, deine Steuern bezahlst und ein anständiger Bürger bist, dein eigenes Haus kaufen und deine Familie ernähren kannst - du alleine. Deine Frau sollte nicht arbeiten müssen, sie sollte daheim bei den Kindern bleiben und sich um das Haus kümmern können. Für diese Männer ist das, was einen Mann ausmacht, die Rolle als Ernährer. Und übrigens: Das erklärt auch Trumps Wählerinnen, die fast ausschließlich weiß waren. Etwa 95 Prozent der schwarzen Frauen haben für Hillary Clinton gestimmt.

Diese weißen Frauen haben ein traditionelles Rollenverständnis?

Ja. Die Frauen, die Trump gewählt haben, stoßen sich daran, dass sie arbeiten müssen, sie wollen zu Hause bleiben bei der Familie. Sie haben nicht als Frauen gewählt, sondern als Mütter, die ausschließlich Mütter sein wollen, die von ihrem Ehemann finanziell unterstützt werden wollen. Ihr Ärger resultiert aus einem "gekränkten Anspruch", wie ich das nenne: Sie haben das Gefühl, dass ihnen etwas zusteht, das sie aber nicht bekommen. Man muss sich immer vergegenwärtigen: Populismus, egal wo er zu finden ist und aus welcher politischen Richtung er kommt, Populismus ist keine Theorie, es ist ein Gefühl. Und das Gefühl ist: Wir wurden von unserer Regierung schlecht behandelt, wir wurden nicht wahrgenommen, wir sind diejenigen, denen Ungerechtigkeit widerfährt. Diese Leute glauben, dass sie die Opfer sind. Ihre politische Idee ist eine Idee der Restaurierung. Wir müssen Amerika wieder groß machen. Wann war es groß? Früher, denken sie. Als wir noch nicht all diese Minderheiten hatten: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Einwanderer und Frauen, die mit uns um unsere Jobs konkurrieren.

Warum Trump Frauen in seinem Team dringend braucht

Ist Steve Bannon in gewisser Weise der typische Trump-Wähler? Ein weißer Mann, der lange ignoriert und nicht ernstgenommen wurde - in den vergangenen Jahren durfte er nicht mal als Redner bei der CPAC auftreten, also hat Breitbart eine Gegenveranstaltung für alle "Nicht-Eingeladenen" abgehalten.

Vielleicht. Aber ich sehe in Bannon nicht so sehr den wütenden, weißen Mann, als vielmehr einen brillanten Manipulator wütender, weißer Männer. Er ist der Goebbels der Trump-Regierung. Er weiß, wie man Gefühle manipuliert, er weiß wie man eine wütende Masse lenkt. Ich bin ehrlich gesagt nicht sicher, ob er selbst wirklich Wut fühlt. Er ist sehr clever. Bei ihm geht es weniger um Emotion, als um Macht.

Wie kommt der typische Trump-Wähler mit Frauen wie Kellyanne Conway oder Ivanka Trump klar? Das sind Frauen mit erfolgreichen Karrieren.

Ich sehe keine von beiden als vorbildhafte Feministin. Schließlich sind das Frauen, deren erfolgreiche Karrieren darauf basieren, anderen Frauen zu raten, keine Karriere zu haben. Für mich sind sie gewissermaßen die reizenden weiblichen Anhängsel des Trump-Regimes. Er war immer umgeben von schönen Frauen, er dachte immer, dass er mit Frauen machen kann, was er will. Vor dem Hintergrund seines offensichtlichen Sexismus' ist es wichtig für ihn, dass Frauen für ihn einstehen.

Nach der Wahl bekommen nicht nur die erwähnten wütenden, weißen Männer jede Menge Aufmerksamkeit, sondern auch extremere Gruppen wie die Altright-Bewegung. Wie gefährlich ist das?

Es ist tatsächlich so, dass nach der Wahl Altright und einige extremere Gruppen am rechten Rand eine größere Legitimation bekommen haben. Aber ich glaube, der dramatische Anstieg an Grabschändungen auf jüdischen Friedhöfen, der allgemeine Antisemitismus, die Anti-Einwanderer-Stimmung, Typen, die in Flugzeugen Immigranten anschreien - das ist nicht Altright. Das sind keine Typen, die "Mein Kampf" lesen und wollen, dass die weiße Rasse die Herrschaft übernimmt. Das sind Leute, die genug davon haben, von der Political Correctness kontrolliert zu werden, so wie sie das empfinden. Trump hat es geschafft, diesen Ärger zu kanalisieren, der etwa so klingt: Überall musst du aufpassen, was du sagst. All diese Frauen, sie fühlen sich ständig angegriffen. Schwarze fühlen sich angegriffen. Man wird bestraft, weil man ein weißer Mann ist.

Hat der typische Trump-Unterstützer ein anderes Männlichkeitsbild als zum Beispiel ein Altright-Anhänger?

Trump steht für den Männlichkeitstypus des Schulhof-Tyrannen. Der Tyrann hat ständig Angst davor, dass er zu klein ist, dass er schwach ist - darum sucht er sich immer Opfer, die ihm unterlegen sind. Der typische Satz, den man zu einem Schulhof-Tyrannen sagt, ist: "Such' dir jemanden, der dir ebenbürtig ist!" Trump ist also ein klassischer Tyrann. Ich denke, das passt zu einem grundsätzlicheren Trend in unserer Gesellschaft: Viele Weiße aus der prekären Mittelschicht, vor allem weiße Männer, haben das Gefühl, dass sie von dieser mächtigen Regierung in Washington drangsaliert wurden. Und noch schlimmer, sie wurden von einer weibischen Regierung gegängelt, dem Nanny State, wie sie das nennen.

Was hinter dem Begriff "Nanny State" steckt

Nanny State - das müssen Sie erklären.

Sie sehen die Regierung als eine geschlechtstypisch weibliche Regierung, die von hart arbeitenden Männern nimmt und es Menschen gibt, denen Dinge wie eine Krankenversicherung, Bildung oder Sozialhilfe gar nicht zustehen - all diese Dinge, die sehr feminin konnotiert sind. Man muss bei Trump nicht das Geschlecht des Mannes selbst betrachten, sondern das seiner Politik. Was Trump tun möchte, ist doch: Er will die Kohleförderung wieder hochfahren, in die Infrastruktur investieren und ins Militär - nun, diese Dinge sind alle mit einem Geschlecht besetzt, nicht wahr? Und wenn er all das tun, woher holt er sich das Geld? Er holt es sich von den nationalen Zuwendungen für die Kunst, die Musik, für Bildung und den Umweltschutz. Trump macht die gegendertste, männlichste Politik, die wir jemals hatten.

In Deutschland gewinnt seit zwei bis drei Jahren die rechtsgerichtete Alternative für Deutschland (AfD) an Stimmen. Der Erfolg der Partei wird meist mit der Flüchtlingskrise in Verbindung gebracht. Denken Sie, als Experte für Politik und Männlichkeit, dass es noch einen anderen Grund geben könnte? Immerhin haben wir seit fast zwölf Jahren eine Kanzlerin.

Für die AfD-Unterstützer steht Merkel für die Entmannung des deutschen Mannes. Für sie ist Merkel die Verkörperung des Problems, dass der deutsche Staat schwächlich handelt, weil er sich schuldig fühlt wegen des Zweiten Weltkriegs. Für diese Menschen scheint es, als dürfe jeder herkommen, als würden sämtliche Einwanderer ins Land gelassen. "Und wenn sie einmal da sind, nehmen sie uns die Jobs weg" - so denken sie. Der Gedankengang "Wir sind starke Männer, aber uns wird gesagt, dass wir schwach sein sollen, dass wir uns zurückhalten sollen" - das sind einmal mehr die wütenden, weißen Männer; das ist, was ich "gekränkter Anspruch" nenne.

Wir haben über Amerika und Deutschland gesprochen. Gibt es ein Land oder eine Region in der Welt, in der Männlichkeitsproblematiken nicht in die aktuelle Politik hineinspielen?

Natürlich, es gibt viele Länder, in denen ein anderer Männlichkeitsbegriff existiert. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Es ist nicht so, als gäbe es überall, wo es Männer gibt, diese Ideen. Aber überall, wo diese Ideen auftreten, werden Sie Männer finden. Es sind Männer, die an diese Ideen glauben. Für mich hat das nichts damit zu tun, biologisch ein Mann zu sein, es ist eher so, dass ein bestimmtes Männlichkeitsverständnis bei Leuten bestimmte politische Einstellungen hervorbringt. Es ist nicht zwangsläufig so, dass jemand gegen Einwanderer ist und sagt "Wir sollten unsere Grenzen schließen", weil er sich entmannt fühlt. Diese Verbindung muss bewusst hergestellt werden: indem wir die Grenzen schließen, bekommst du deine Männlichkeit zurück, indem wir die Kohleförderung ankurbeln, geben wir dir deine Männlichkeit wieder.

Reicht es, mit diesen Menschen zu sprechen, sich anzuhören, wie sie sich fühlen? Mir scheint es, als seien solche Überzeugungen tief verwurzelt in der Persönlichkeit dieser Männer.

Sagen wir es so: Ich glaube, man kann sie nicht erreichen, ohne mit ihnen über Männlichkeit zu reden. Die erste Regel jedes Therapeuten ist: Du sagst Menschen nicht, dass ihre Gefühle falsch sind. Aber du kannst ihnen sagen, dass ihre Gefühle keine akkurate Einschätzung ihrer Situation sind. Ich fühle insofern mit diesen Typen, als dass ich tatsächlich glaube, dass sie über den Tisch gezogen wurden. Sie haben ein schlechtes Geschäft gemacht - aber ich glaube nicht, dass es Einwanderer waren, die ihnen räuberische Kredite für ihre Häuser gegeben haben. Ich glaube nicht, dass Feministinnen für den Klimawandel verantwortlich sind. Ich glaube nicht, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender ihre Jobs outsourcen. Diese Menschen haben ein Recht wütend zu sein, aber ihre Wut richtet sich gegen die Falschen. Es sind die Wirtschaftseliten, die ihnen das angetan haben. Auf die sollten sie ihre Energien richten. Sie sollten mehr auf Springsteen hören und weniger auf Bannon.

Männlichkeit in der Krise - ein Schwerpunkt

Dem Mann geht es nicht gut. Heißt es gerade immer wieder. Man gibt ihm die Schuld an allem, was schief läuft in der Welt. Sexismus, Gewalt, Populismus. Was ist los mit dir, Mann? Zeit für eine Inspektion. Lesen Sie:

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