US-Journalismus:Ungereimtheiten

Mit einem Porträt von Frank Sinatra wurde Gay Talese 1966 zu einer Gründerfigur des "New Journalism". Jetzt ist sein Buch über einen Voyeur in die Kritik geraten: als Fiction, die vorgibt, Recherche zu sein.

Von Jörg Häntzschel

Gay Talese, der amerikanische Mitbegründer des New Journalism, wurde berühmt mit einem langen Porträt von Frank Sinatra, das 1966 im Esquire erschien. Weil Talese Sinatra nie treffen konnte, beobachtete er ihn über Monate hinweg. Sein Text "Frank Sinatra Has a Cold" offenbarte dann mehr über den Star als alle Interviews zusammen. Vielleicht erklärt das schon, warum Talese sofort neugierig wurde, als ihn 1980 ein Mann aus Denver zu sich einlud, der dort nur deshalb ein Motel betrieb, um seine Gäste in ihren Zimmern zu beobachten. Jetzt, 36 Jahre später, erscheint das Buch, das Talese über den Voyeur und selbsterklärten Sexualforscher geschrieben hat. Doch diesmal wird er für seine Beobachtungen nicht gefeiert, sondern verurteilt.

Kurz nachdem Talese die Einladung von Gerald Foos bekommen hatte, reiste er nach Denver. Foos führt ihn auf den Dachboden, von wo aus die beiden durch getarnte Öffnungen in ein Zimmer hinuntersehen, wo ein nacktes Paar gerade beim Oralsex ist. Nach diesem Treffen schickt Foos immer neue Kapitel seiner Aufzeichnungen, die er von seinen Beobachtungen gemacht hat, an den Journalisten. Eine Passage beunruhigt Talese: Dort beschreibt Foos, wie im Hotelzimmer unter ihm ein Dealer eine Frau erwürgt. Was tut Talese? Nichts. "Es war zu spät, um die Freundin des Dealers zu retten. Außerdem fühlte ich mich . . . wie ein Mitverschwörer." Genau das werfen ihm viele vor.

Jetzt, eine Woche vor dem Erscheinen der Buch-Version von "The Voyeur's Motel", werden Talese die zahlreichen Ungereimtheiten in seinem Text vorgeworfen. Foos' Aufzeichnungen beginnen 1966, doch das Motel übernahm er erst 1969. Viele Episoden datieren aus den Achtzigern, doch Foos hatte das Motel 1980 verkauft, um es erst 1988 wieder zurückzukaufen.

Steven Spielberg hat sich bereits die Filmrechte gesichert

Schon beim Lesen des Vorabdrucks im New Yorker beschlich einen der Verdacht, dass der 84-jährige Talese hier weder Journalism noch New Journalism schrieb, sondern fiction auf der Grundlage einer wahren Geschichte. Zu theatralisch sind einige der Passagen: etwa die, als Talese den Voyeur fast verraten hätte, weil seine Krawatte durch die Öffnung in der Decke in das Hotelzimmer baumelte. Bizarr auch die eingestreuten MacGuffins: So lässt Talese einen Hinweis auf den Amoklauf fallen, bei dem 2012 im selben Vorort von Denver 12 Menschen getötet wurden. Doch was er mit dem Maschinengewehr zu tun hat, das in dem Motel gefunden worden sei, klärt er nicht auf. Talese scheint gerade an dem Schwebezustand von Realität und Erfindung interessiert zu sein, mit dem er die Geschichte schließt: Die Polizei findet keine Unterlagen zu dem Mord, Foos' Frau und einzige Mitwisserin ist tot, das Hotel abgerissen, "pulverisiert" - keine Chance, hier noch Beweise zu finden.

Zugeben will Talese das nicht. Zerknirscht erklärte er, auf die übliche Promotion für das Buch zu verzichten, dessen "Glaubwürdigkeit ist im Eimer". Doch dann gab der Verlag bekannt, nein, alles wie geplant, man werde Details in späteren Ausgaben korrigieren. Wahrscheinlich wird erst die Verfilmung diesen Borderline-Journalismus von seinen Ambivalenzen säubern. Steven Spielberg hat sich die Rechte gesichert.

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