US-Autor Donald Antrim:Kranke amerikanische Gesellschaft

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Ein Trend in den USA: Die Verwandlung verlassener psychiatrischer Anstalten in Touristenattraktionen. (Foto: Getty Images)

Donald Antrims Romane und Erzählungen zeichnen ein von Depressionen gepacktes Amerika.

Von Tobias Lehmkuhl

Jeffrey Eugenides und Jonathan Franzen haben hymnische Essays über Donald Antrims Bücher geschrieben, und so hat sich nun auch der Franzen- und Eugenides-Verlag Rowohlt dieses 1958 geborenen, hierzulande wenig bekannten Autors angenommen: Mit "Der Wahrheitsfinder" und "Wählt Mr. Robinson für eine bessere Welt" wurden zwei seiner ursprünglich in anderen Verlagen auf Deutsch erschienenen Romane soeben als Taschenbuch wieder aufgelegt, und als Hardcover liegt nun auch Antrims Erzählungsband "Das smaragdene Licht in der Luft" vor.

Nervöse, pillenschluckende Männer sind Antrims Helden

Sieben Geschichten enthält dieser Band, fast alle spielen in New York, und es fällt schwer, eine davon als beispielhaft auszuwählen. Denn obwohl die Figuren sich sämtlich ähneln - nervöse, pillenschluckende, psychiatrieerfahrene Männer sind es vor allem - steht doch jede Erzählung für sich, ist jede einzelne ein meisterhaftes Beispiel ihres Genres: Da ist das Paar, das sich mit Pillen und schönen Worten an der Illusion eines glücklichen Lebens festkrallt, der Mann, der auf jeder Party zwanghaft seine Ex-Frau zitiert, der Möchtegern-Schriftsteller, der obsessiv jeden Gedanken und jede Beobachtung notieren muss und darüber sein Leben aus dem Blick verliert.

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Oder, in der Titelgeschichte ( hier der Link zu "The Emerald Light in the Air" im New Yorker), Billy French, der bei allen Schicksalsschlägen versucht, tapfer weiterzumachen: "In weniger als einem Jahr hatte er seine Mutter, seinen Vater und die Liebe seines Lebens verloren, als die er Julia empfunden hatte und zuweilen immer noch empfand; und im Laufe dieses Jahres oder vielmehr im Zuge seiner suizidalen Nachwirkungen hatte er sich zweimal in die psychiatrische Station der Universitätsklinik aufnehmen lassen, wo er bei beiden Aufenthalten an drei Vormittagen die Woche auf einen Operationstisch geklettert war und weinend die Decke angestarrt hatte, während Ärzte den Impuls eingestellt und ihm Elektroden an die Stirn geklebt hatten."

Für Antrim ist Depression keine Krankheit, die sich heilen lässt

Jede dieser Erzählungen greift nur eine Szene aus dem Leben ihrer jeweiligen Hauptfigur auf, oft sind es nur wenige Minuten, die wir Billy, Jonathan, Claire oder Alice begleiten, und doch werden sie in diesen kurzen Ausschnitten fasslich, faltet sich ihr Schicksal vor uns auf. Dabei erscheinen sie nie allein als pathologische Fälle. Die Abweichung im psychologischen Apparat fasst Donald Antrim vielmehr als Teil ihrer selbst auf, für ihn ist Depression keine Krankheit, die sich heilen lässt wie ein gebrochener Arm. Krankhaft oder zumindest zwanghaft erscheint vielmehr der Versuch der Gesellschaft, diese Abweichungen einzuordnen und auszumerzen.

Beispielhaft ist ein Gespräch zwischen zwei Psychologen im Roman "Der Wahrheitsfinder": "Manisch? - Möglicherweise hat er manische Tendenzen, ja. - Schizoid?, fragte der Auszubildende der Kinderpsychologie aufgeregt. - Das ist gut möglich. - Paranoid? - Paranoid, oh ja, ohne Zweifel, sagte Konwicki. - Winnicott'sches falsches Ich? Wahnhafte Macht- und Allwissenheitsphantasien? Sexuelle Devianzen?, rief Bob wie ein Wahnsinniger. - Ich würde nichts ausschließen, Bob. - Phantastisch!"

Hier wird klar, dass es in Donald Antrims Erzählungen und Romanen nicht um gestörte Individuen, sondern um eine gestörte Gesellschaft geht. Die stärksten Bilder dafür findet er in dem Roman "Wählt Mr. Robinson für eine bessere Welt". Folgt er in "Das smaragdene Licht in der Luft" ganz einer realistischen Erzählweise, finden hier einige fantastische Verschiebungen statt: Der Bürgermeister einer Kleinstadt schießt mit Stingerraketen auf seine Mitbürger, die vierteilen ihn daraufhin und beginnen, um ihre Häuser Gräben auszuheben, die mit den absurdesten Sicherheitsvorkehrungen versehen sind, auch wenn Haustiere und Nachbarskinder dadurch gefährdet werden.

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Aus der SZ-Redaktion

Lehren sind aus Antrims Geschichten nicht zu ziehen, "Gesundung" ist Illusion

Wer etwa auf einer Gemeindeversammlung dagegen Einspruch erhebt, wird schnell niedergemacht: "Liebe Freunde, heute Abend ist der kleine Jeff mit dem Babysitter zu Hause, und lasst es mich euch sagen: Mir ist eine ganze Menge wohler bei dem Gedanken, dass da ein System vernetzter und elektronisch zündbarer Splitterbomben scharfgemacht und entsichert in der Kapuzinerkresse vor seinem Fenster liegt." Hauptfigur dieses Romans ist eben jener Mr. Robinson, ein Lehrer, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, jeden Körperteil des zerfetzten Bürgermeisters einzeln und begleitet von absurden Zeremonien an verschiedenen Orten zu begraben, während seine Frau sich in Trancezustände in einen Quastenflosser verwandelt.

Eine Schule gibt es nicht mehr, denn der Staat hat diese Stadt völlig verlassen, sodass sich jeder seiner Obsession hingeben kann, seien es Waffen, isolationistische Abschottungsphantasien oder dann eben doch der Versuch, eine Privatschule zu gründen. Dass sich gerade dieses Projekt als das am Ende schrecklichste herausstellt, ist Antrims bittere Pointe. Lehren sind aus seinen Geschichten nicht zu ziehen. Die Möglichkeit einer "Gesundung" erweist sich als Illusion. Rettung oder zumindest Trost verspricht allein der scharfe Witz, mit dem Donald Antrim von den Abgründen unserer Welt und den Untiefen eines jeden Einzelnen erzählt.

Donald Antrim: Das smaragdene Licht in der Luft. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag Reinbek 2015. 224 Seiten, 18,95 Euro. E-Book 16,99 Euro. - Der Wahrheitsfinder. Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 224 Seiten, 12,99 Euro. E-Book 10,99 Euro. - Wählt Mr. Robinson für eine bessere Welt. Aus dem Englischen von Gottfried Röckelein. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 224 Seiten, 12,99 Euro. E-Book 10,99 Euro.

Weitere Geschichten von Doland Antrim finden Sie frei verfügbar auf der Internetseite des New Yorker.

© SZ vom 06.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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