US-Diplomatie:Es schüttelt sich

Auch der Twitter-Präsident Donald Trump kommt nicht an der Kulturgeschichte des analogen Händeschüttelns vorbei - und scheitert daran.

Von Gerhard Matzig

Das Lachen der Verzweiflung ist oft am lautesten. Als Donald Trump jetzt im Weißen Haus den kanadischen Premier Justin Trudeau zum Staatsbesuch empfing, ergab sich ein Foto, wie es bildmächtiger und beredter kaum sein kann. Da sitzt der Twitter-Titan Trump breitbeinig vor dem Kamin im gelben Lehnstuhl und bietet dem smarten Trudeau die rechte Hand, als wolle er sagen: "Hey buddy, darauf die Hand!" Oder: "Deal?" Währenddessen schaut Trudeau, der die eigenen Hände in vorsichtiger Distanz zu Trump im Schoß hält, wie entgeistert diese präsidiale Patschhand an, als wolle er - ja was?

Genau wegen dieses interpretatorischen Spielraums wurde dieses Bild im Netz nun so viral, dass sich die Interpreten auf Trumps eigenem Terrain die Tweets nur so in die Hand geben. Der Handshake ist ein Hit. Abertausende wetteifern um die beste Bildunterschrift. So entstand eine Sprechblasen-Challenge, die auch selbst als passender Comic die 140-Zeichen-Politikkultur der Gegenwart illustriert.

Eine Tweet-Autorin mit dem sehr schönen Namen "Adorno" hat sogar einen ganzen Dialog erfunden. Der geht so:

Trump: C'mon, schlag ein!

Trudeau: Nein.

Trump: Warum nicht?

Trudeau: Weil ich weiß, wo die Hand zuletzt war.

Das lässt sich natürlich nur mutmaßen, aber möglicherweise ist die Gegend zwischen den Beinen einer sexuell bösartig belästigten Frau nicht vollkommen unwahrscheinlich. Trump schüttelt Hände - und schafft es, sogar dabei als verächtliche Witzfigur des Wahnsinns rüberzukommen. Der Mann, der das Gestische wie kaum jemand sonst perfektioniert und digitalisiert hat, scheitert an der analogen Kulturgeschichte des Händeschüttelns.

Trudeau war ja nur deshalb so zurückhaltend, weil er schon zuvor, an der Tür zum Weißen Haus, mit Trumps brachialer Schüttelt-sich-schon-Technik konfrontiert wurde. Trudeau steigt also aus dem Auto. Trumps Hand schwingt wie ein Rechtsausleger auf ihn zu, dann hält Trump die Hand seines Gastes fest. Fester. Und drückt noch einmal. Trudeau aber rückt an Trump heran, greift ihm an die Schulter. Der erwidert den Angriff mit einem Griff in den Nacken des kanadischen Premiers, als sei das ein Ringkampf.

Trudeau war gewarnt. Shinzō Abe, Staatsgast am Wochenende, war das nicht. Auch das telegene Geschüttel mit dem japanischen Ministerpräsidenten wurde binnen weniger Tage zum viralen Blockbuster in den sozialen Medien. Wieder der Kamin, wieder die gelben Lehnstühle. Und Trump tut das, was seine Anhänger an ihm so lieben: zupacken, anfassen, hinlangen. 18 Sekunden lang. Trump lässt die Hand des Gastes nicht los, obgleich Abe fast verzweifelt versucht, diese wegzuziehen. Trump zerrt ihn sogar ruckhaft zu sich. Das tut er öfter. Genau das wollte Trudeau ja mit seinem angedeuteten Bodycheck verhindern.

Endlich entlassen aus der Schraubklemme der Macht, entgleiten dem Japaner förmlich die Gesichtszüge. Er stemmt sich kurz aus dem Sitz und atmet tief aus. Trump reckt beide Daumen Richtung Kamera und sagt: "Stark."

Für Details ist Trump womöglich nicht empfänglich, sonst hätte ihm jemand gesagt, dass der feste Händedruck nur in westlichen Kulturen als Ausdruck des Respekts gilt sowie als Zeichen von Selbstbewusstsein und Willensstärke. In Asien gilt ein (über-)starker Händedruck dagegen als grobmotorische Unhöflichkeit.

Trumps Technologie körperlicher Vereinnahmung ist bemerkenswert. Wie er da rupft und reißt an den Armen seiner Partner - darunter auch US-Vize Mike Pence, Supreme-Court-Richter in spe Neil Gorsuch oder die britische Premierministerin Theresa May. Wie er die Leute in den Clinch nimmt. Wie er tätschelt. Wie er hält und hält und hält. Und nie wieder hergibt, was er einmal in Händen hält. Freud?

Wobei die übergriffige Trump-Manie, die eine nicht nur im griechischen Wortsinn (Raserei, Wut) ist, sondern auch im lateinischen (Hand), wobei dieser Tick eine Mischung aus deutschem Übermenschengeist und amerikanischer Politposse zu sein scheint.

Zur Erinnerung: In "Mephisto", dem 1936 erschienenen Roman von Klaus Mann, probt der untertänige Schauspieler Hendrik Höfgen (unschwer zu erkennen als die reale Persönlichkeit Gustaf Gründgens) den korrekten Händedruck an einem Kleiderbügel. Ein Obernazi hatte ihn zuvor ermahnt, dass sich ein "Händedruck, so weich wie ein Fisch" nicht zieme für einen Repräsentanten der Herrenrasse. Und in "Primary Colors", jenem Bestseller von Joe Klein, der Bill Clintons Wahlkampf thematisierte, wird dargestellt, dass jeder einzelne Händedruck von Clinton - freundlich, warmherzig, anteilnehmend und wortwörtlich ergreifend - eine gewonnene Stimme darstellt. Weshalb sich das Buch stellenweise liest wie ein Kompendium zur Kunst des Händeschüttelns.

Dessen Kulturgeschichte lässt sich im Grunde auf einen Satz reduzieren: Dem Händedruck - es ist das seit der Antike tradierte nonverbale Höflichkeitsritual (nur) des Westens - ging der herrschenden Lehre zufolge wohl das Winken voraus; und dieses diente dazu, dem Gegenüber eine leere Hand zu präsentieren. Die Geste besagt etwa dies: Ich bin unbewaffnet und komme in Frieden.

Nun waren es allerdings auch amerikanische Forscher, die zuletzt vor dem Handschlag warnten. Gerade in Grippezeiten dringen Krankheitskeime weiter in den Organismus vor, wenn sie sich zuvor an den Händen befanden. Die Tradition des Händeschüttelns gilt also zu Recht als Gesundheitsrisiko.

Niemand wusste das eigentlich so gut wie Trump. Der galt zu Beginn seines Wahlkampfes noch als zögerlicher Händeschüttler. Der Kandidat bezeichnete den Brauch wiederholt als "barbarisch" und bekannte sich zu seiner Mysophobie, seiner krankhaften Angst vor Keimen. Vielleicht gehört das Händeschütteln ganz einfach zu den Dingen, die er nun im Amt erst einmal lernen muss. Ausreden sind im diplomatischen Protokoll allerdings nicht vorgesehen.

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