US-Buchmarkt:Das Herz der Nation

Die "New York Times" bespricht eine neue Biographie über Ulysses S. Grant, General im Bürgerkrieg und 18. Präsident der USA. Der Rezensent ist Bill Clinton, der die Chance nutzt, gegen Trump zur Einheit der Nation aufzurufen.

Von Willi Winkler

Nichts fasziniert jedenfalls die männlichen Leser in den Vereinigten Staaten mehr als der Bürgerkrieg. Auch wenn in den hundertfünfzig Jahren, die seither vergangen sind, längst jeder Uniformknopf schon drei Mal hin und her gewendet, jede Haubitze nachgegossen und in irgendeinem Park frisch disloziert wurde, erscheinen jährlich hunderte von neuen Bio- und Monografien, in denen noch einmal die Rolle der Frauen, Sklaven, Kinder, Indianer verhandelt und noch lieber an die Generäle erinnert wird, die, mit Thukydides' "Geschichte des Peloponnesischen Krieges" und den modernsten Vernichtungswaffen ausgerüstet, die abtrünnigen Südstaaten zurück in die Union zwingen wollten.

Der Historiker Ron Chernow hat bereits Bücher über die Familie Warburg und über George Washington vorgelegt. Seine Biografie Alexander Hamiltons, einem weiteren Gründervater der nordamerikanischen Republik, wurde Grundlage für ein strikt ahistorisches, sagenhaft erfolgreiches Broadway-Musical, in dem fast alle Darsteller schwarz sind. Kurz nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten appellierte die gesamte Besetzung nach der Vorstellung von der Bühne herunter an den im Parkett sitzenden designierten Vizepräsidenten Mike Pence, die neue Regierung möge die Natur achten und die Rechte aller Minderheiten respektieren. Der abwesende Trump schäumte vor Wut.

In seinem neuen Buch widmet sich Chernow Ulysses S. Grant, dem 18. Präsidenten der USA, der seine politische Laufbahn als besonders rücksichtsloser General im Bürgerkrieg begann. Er setzte seinem Gegner Robert E. Lee nach und zwang ihn 1865 in Appomattox zur Kapitulation der Südstaaten. Es war jener General Lee, dem sie in Charlottesville im August die Statue wegnahmen, was zum Aufmarsch der Neonazis, zum Tod einer Gegendemonstrantin und zu Trumps Gunstbezeigungen für seine rechten Anhänger führte.

"Die Heilung der Nation stand bei ihm an erster Stelle", schreibt Clinton über Grant - gegen Trump

Der Rezensent der New York Times beginnt seine Kritik der Biografie mit dem berühmten Satz des Südstaatlers William Faulkner: "Die Vergangenheit ist nie tot, sie ist nicht einmal vergangen." Nicht nur eine Geschichtsstunde biete Chernow, sondern einen Spiegel der Gegenwart. Denn die Themen, die den zum Zivilisten geläuterten Grant im 19. Jahrhundert beschäftigten, seien die von heute: das Erstarken der Gruppen, die sich als weiße Herrenmenschen empfinden, während anderen das Wahlrecht streitig gemacht werde, und außerdem verschärfe sich gegenwärtig wie in der wirtschaftlichen Blütezeit in den 1870er Jahren die Ungleichheit.

Der Kritiker ist nicht irgendwer, sondern Bill Clinton, seinerseits ehemaliger Präsident. In der amerikanischen Quasi-Monarchie, die dem Präsidenten einerseits alle Macht zugesteht, sie ihm aber durch die Befugnisse von Kongress und Oberstem Gericht gleich wieder nimmt, erwies sich Clinton als gewiefter Politiker. Er ist aber auch intelligent genug, eine Rezension ohne Hilfe eines halben Dutzends Referenten zu verfassen und nebenbei seinem Nach-Nachfolger mit Rückgriff auf einen Vor-Vorgänger die Leviten zu lesen.

Zunächst braucht er den Spiegel allerdings für sich, denn Clinton will nicht als der Präsident in Erinnerung bleiben, der von Übernachtungsgästen im Weißen Haus kräftige Spenden erwartete. "Es ist nicht ohne Ironie", zitiert er Chernow, "dass Grants Präsidentschaft als Inbegriff der Korruption gilt, wo er doch selber makellos ehrlich war." Aber wichtiger ist ihm sein eigentliches Anliegen. Grant wollte nach dem Bürgerkrieg das Land wieder zusammenführen. "Die Heilung der Nation stand bei ihm wie bei Abraham Lincoln an vorderster Stelle", sagt nicht Chernow, sondern Clinton. Er sagt es gegen Trump, der alles unternimmt, um das Land weiter zu spalten.

Grant ging juristisch gegen den Ku Klux Klan vor, der bis heute für den Süden Rache an der Niederlage im Bürgerkrieg nehmen will. Lincoln hatte den Sklaven mitten im Krieg die Freiheit gewährt, der Klan schlug zurück und mordete Hunderte, Tausende, mit Vorliebe Schwarze. Trump lässt sich die Unterstützung der Klan-Mitglieder gefallen. Grant stellte in der Regierung Schwarze ein, plädierte für das Wahlrecht für Schwarze, das "Herz der Demokratie". Das sei ein Erbe, an dem das "Oberste Gericht und die Republikaner in Washington und überall im Land festhalten und es nicht aufgeben" sollten, schreibt Clinton.

Ulysses S. Grant hatte seine Schwächen. Er war Quartalssäufer und manchmal kaum zu ertragen. Nach acht Jahren Präsidentschaft war er nicht reich, sondern machte bald Bankrott. Auf Anregung Mark Twains schrieb er, um für seine Familie zu sorgen, seine Lebensgeschichte auf. Kaum war er damit fertig, starb er. Für Bill Clinton ist Grant ein amerikanischer Held, einer, dem es um das "Überleben unserer Demokratie" ging. "Während Amerikaner den Kampf weiterführen, um Gerechtigkeit und Gleichheit in unserer aufgewühlten und polarisierten Zeit zu verteidigen, müssen wir wissen, was Grant getan hat, als die Existenz unseres Landes auf dem Spiel stand. Wenn wir eine bessere Union wirklich wollen, dann ist sein standhaftes, mutiges Beispiel wichtiger als je zuvor." Aber Einheit, Versöhnung, Heilung - wer will das schon? Der aktuelle Präsident offensichtlich nicht.

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