Urteil im Bohlen-Prozess:Künstler wider Willen

Wir haben es ja immer gewusst: Ein Mann, der "nichts als die Wahrheit" zu Papier bringen kann, muss ein Künstler sein. Das hat nun auch das Kölner Sozialgericht erkannt - ob es RTL passt oder nicht.

Titus Arnu

Dieter Bohlen glaubt, ganz genau zu wissen, wer ein Künstler ist und wer nicht. Einem Kandidaten der RTL-Casting-Show "Deutschland sucht den Superstar"(DSDS) teilte er mit: "Wenn ich meinem Hund 'ne Currywurst in den Hintern schiebe, dann macht der auch solche Geräusche." Einem anderen Möchtegern-Star attestierte Bohlen, er könne "Kakerlaken ins Koma singen".

Urteil im Bohlen-Prozess: 173.000 Euro extra muss RTL die künstlerische Tätigkeit dieses Mannes schon wert sein.

173.000 Euro extra muss RTL die künstlerische Tätigkeit dieses Mannes schon wert sein.

(Foto: Foto: dpa)

Bohlens krasse Schnell-Urteile gehören ebenso zum Konzept der Show wie der Auftritt von Dilettanten, die sich freiwillig zum Affen machen. Gelten die Pöbeleien als Körperverletzung - oder gar als Kunstform? Eigentlich könnte einem das alles, um mit Bohlen zu sprechen, echt total megaegal sein, aber das Sozialgericht Köln musste am Montag tatsächlich überprüfen, ob das Sprücheklopfen bei "Deutschland sucht den Superstar" eine künstlerische Tätigkeit ist. In diesem Fall war das keine Geschmacksfrage, es ging um Sozialabgaben von 173 000 Euro.

Die Künstlersozialkasse (KSK), eine Versorgungseinrichtung für Freischaffende, fordert diese Summe für die Arbeit der DSDS-Jury zwischen 2002 und 2006 nachträglich von RTL. Der Sender hat gegen diesen Bescheid geklagt. Nach Meinung des Senders üben die Jury-Mitglieder keine künstlerische Tätigkeit aus, daher seien keine Beiträge zu zahlen. Die Künstlersozialkasse finanziert sich aus den Beitragszahlungen der Mitglieder, aus Zuschüssen des Bundes und Pflichtabgaben von Verlagen und Sendern. Die Kasse wurde gegründet, um Autoren, Musiker, Schauspieler und Kunstmaler sozial abzusichern.

Wer aber ist ein Künstler? Die Gesetzeslage dazu scheint so weich zu sein wie die Knie manch eines DSDS-Kandidaten. Gemäß Künstlersozialversicherungsgesetz gilt als Künstler, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Vereinfacht heißt das nur: Wer Kunst macht, ist Künstler. In Einzelfällen haben Gerichte zu entscheiden, was Kunst ist.

So besagt ein Urteil, dass ein Bauchredner ein Künstler ist, während Tätowierer oder Show-Catcher keinen künstlerischen Tätigkeiten nachgehen. "Wenn man Dieter Bohlen zum Rasenmähen anstellt, dann wäre das eher eine handwerkliche Tätigkeit", erklärt Willy Nordhausen, Bereichsleiter Auskunft und Beratung bei der Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven.

Bei der Verhandlung in Köln wurden Ausschnitte aus DSDS gezeigt, aber entscheidend waren Verträge, die Bohlen und die anderen Jurymitglieder mit RTL abgeschlossen haben. In ihnen werden "eigenschöpferische, höchstpersönliche Leistungen" von den Juroren erwartet. Ungeachtet des Niveaus sei in Ansätzen eine freie schöpferische Gestaltung zu erkennen, urteilte das Gericht.

Die Richter verwiesen auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts, wonach bereits schöpferische Leistungen auf niedrigen Niveau als künstlerische Darbietungen zu werten sind. Deshalb muss RTL nun an die KSK zahlen. Der Sender will Rechtsmittel gegen das Urteil prüfen.

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