Urlaub in der DDR:Wie lange braucht man, um einen Grill zu bauen?

Strandnixen und Bier: Die Ausstellung "Urlaub und Freizeit in der DDR" bestätigt so manches Vorurteil. Die Bilder.

B. Müller

8 Bilder

urlaub und freizeit in der ddr, manfred uhlenhut

Quelle: SZ

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Schon der Name verrät es: Eisenhüttenstadt ist keine Stadt wie andere Städte, die langsam durch die Jahrhunderte wachsen, sondern das Ergebnis eines besonderen Willensakts. Die junge DDR besaß so gut wie keine eisenerzeugende Industrie, und das beschloss sie auf einen Streich zu ändern. Ganz von vorn wollte man anfangen in "Stalinstadt", wie das Projekt ursprünglich hieß, auf jungfräulichem Grund, wo sich der Neue Mensch, der sich vor allem durch sein Verhältnis zur Produktion bestimmte, ohne Altlasten formen ließ.

Text: Burkhard Müller/SZ vom 23.03.09./sueddeutsche.de/irup

Foto: Manfred Uhlenhut/Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR

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So führte die Stadt von Anbeginn ein peripheres Dasein: peripher zu ihrem eigentlich unstädtischen Zweck der Produktion, peripher innerhalb des Gesamtstaats durch ihre Lage genau auf der Grenze - heute peripherer denn je, im äußersten Osten des geeinigten Deutschlands. Die Einwohnerzahl ist seit der Wende von 53 000 auf 33 000 gesunken; allerdings gelang es die Eisenerzeugung, zu halten. Es ist durchaus konsequent, dass ein "Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR" sich ausgerechnet hier angesiedelt hat. Hier gibt es die DDR in ihrer reinen und als solcher an den Rand gedrängten Form zu besichtigen. Auch dem Namen muss man bescheinigen, dass er es auf eine gewisse unglückliche Weise trifft. Die Exponate sind jung, ihr Alter zählt nur nach Jahrzehnten; doch war schon früh in den Neunzigern klar, dass sie sämtlich hochgradig gefährdet waren durch (wie es in der hauseigenen Broschüre heißt) den "massiven und gründlichen Austausch der aus der DDR überkommenen Objektkultur".

Foto: Manfred Uhlenhut/Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR

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Das Museum ist in der früheren Kindertagesstätte II untergebracht, einem unerwartet repräsentativen Bau der frühen Fünfziger. Architektur harrt aus, sie sorgt durch die Dauerhaftigkeit ihres Materials bis zu einem gewissen Grad für sich selbst, und jeder begreift sie als erhaltenswertes Erbe; die Innenstadt (wenn man von einer solchen sprechen darf) ist als Flächendenkmal geschützt und auch weitgehend renoviert, und so kommt der kühle, doch seiner Proportionen sehr sichere Klassizismus der späten Stalinzeit zu vorteilhafter Geltung.

Interieurs jedoch unterliegen dem Tempo des Lebendigen. Das Prunkstück des Museums besteht in einem original erhaltenen Sanitätsraum, der dem Besucher anempfohlen wird wie eine ägyptische Grabkammer. Nicht nur die alte Bodenkachelung ist unversehrt, es findet sich dort auch, ganz wie die westliche Karikatur sich das vorgestellt hat, eine Batterie von Plastiktöpfchen für die Kleinen, angetreten wie eine Riege von Jungen Pionieren. Alle Vorurteile stimmen.

Foto: Manfred Uhlenhut/Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR

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Das Dokumentationszentrum hat in den letzten Jahren schon eine ganze Reihe von Ausstellungen organisiert, darunter "Das Jahr 1953", "abc des Ostens", "Tempolinsen und P2", letzteres eindeutig etwas für nostalgische Insider. Nun also ist die Freizeitkultur der DDR zu sehen. Wer, aus westlicher Richtung kommend, sich so etwas wie ein Völkerkundemuseum erwartet hat, ist zunächst einmal verblüfft: Wir waren uns ja so ähnlich! Die wackligen Campingtische, das viele fröhlich-billige Plastik, die Art, wie man damals Zeitschriften und Anzeigen machte, einschließlich der noch leicht unirdischen Wiedergabequalität des Farbdrucks - das alles wird auch ein Westdeutscher als die Ingredienzen einer Kindheit in den Sechzigern wiedererkennen. Unterschiede kommen erst allmählich ins Visier: Man blickt auf einen im Eigenbau hergestellten Grill, bewundert zunächst seine handwerkliche Solidität und kommt dann ins Grübeln, wie viele Arbeitsstunden da wohl in etwas einflossen, was heute für 49 Euro im Baumarkt zu haben ist.

Foto: Manfred Uhlenhut/Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR

urlaub und freizeit in der ddr, ddp

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Woher das hochwertige Material stammt, wagt man gar nicht zu fragen; aber man begeht wahrscheinlich kein schweres Unrecht, wenn man vermutet, dass hier "organisiert" wurde. Der Staat hatte im Organisieren keine ganz so glückliche Hand. Die Freizeit, Sache wie Begriff, entstand in der DDR ziemlich parallel zur BRD. Der DDR-Werktätige hatte Anspruch auf mindestens 15 Tage Urlaub, von 1965 an galt die Fünf-Tage-Woche. Doch erwies sich, dass Partei, Regierung und Gewerkschaften für die Freiräume nicht ganz die gleichen Vorstellungen hatten wie "unsere Menschen". Diese wollten ausruhen und waren nicht immer erpicht auf die "richtig verstandene und sinnvoll genutzte" Freizeitgestaltung, die man ihnen nahe legte. Die Dokumente, die am fremdesten anmuten, zeugen von der versuchten Lenkung dessen, was dennoch als spontane Freiheit und Freude geehrt werden sollte. Man sieht Handreichungen für den FDJ-"Ferienhelfer": "Wir lernen von unseren Vorbildern" oder "Touristische Wettkämpfe in der Feriengestaltung" lauten die Überschriften; ein Touristen-Abzeichen in Bronze ist auch zu bestaunen.

Foto: ddp

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Der Tourist liefert ein besonders schönes Beispiel dafür, warum sich Ost und West missverstehen mussten, selbst wenn sie dieselben Wörter verwendeten. Im Westen hatte er lang schon einen abschätzigen Klang, als er im Osten noch als Errungenschaft galt; Tourismus wurde ähnlich gehandhabt wie der Sport und stand der Kultur nahe im Sinn eines bürgerlichen Privilegs, das man endlich für die Arbeiter- und Bauernklasse zu erobern gedachte. Was der Arbeiter und Bauer nicht kennt, das isst er nicht; die zuständigen Stellen hatten in den Fünfzigern zunächst Schwierigkeiten, diesen Klassen die Vorzüge eines Urlaubs klar zu machen, und klagten über das Übermaß an "örtlicher Bindung". Das änderte sich allmählich; obwohl der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund, die Betriebe, Ministerien und Schulen ungezählte Ferienheime unterhielten, schaffte es die DDR bis zum Ende nicht, mehr als einen Urlaubsplatz für je sechs Werktätige bereitzustellen. Noch knapper wurden die Plätze dadurch, dass die Familien es sich nicht gefallen lassen wollten, im Urlaub auseinander gerissen zu werden, denn für die Kinder gab es selbstverständlich eigene Ferienlager. Die Eltern brachten einfach die Kinder mit und erzwangen deren Unterbringung.

Foto: Manfred Uhlenhut/Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR

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Sie erzwangen überhaupt im Lauf der Zeit mancherlei. Das Gästebuch, gedacht für Dankes- und Gesinnungsbezeugungen, geriet zum Beschwerdebuch. "Es wäre zu hoffen, dass die Betriebsleitung des WBK die Kritik ihrer Gäste beherzigt", steht da etwa zu lesen. Immer breiteren Raum nahmen die "Privatreisenden" ein, wobei "privat" im Sozialismus leicht anrüchige Konnotationen hat. Auf eigene Faust zelten zu fahren, scheint harmlos genug; aber man erinnere sich, welche Rolle beim Sturz der DDR die Camper in Ungarn spielen sollten. Der Untergang kam durch die Hintertür; nachträglich versteht man es besser, wie zwanghaft Staat und Regierung ein anarchisches Potential zu zähmen suchten.

Foto: o. H.

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Den stärksten Eindruck der Ausstellung hinterlässt eine riesige Bilderwand voller Schwarzweiß-Fotos, anscheinend regellos aus privaten Alben zusammengetragen, und gerade in dieser Regellosigkeit, mit der lachende biertrinkende Männer, spielende Kinder, Strandnixen in verjährten Bademoden durcheinanderwirbeln, unglaublich frisch und präsent. Wie viel Leben fängt sich in den Objekten? Immer nur so viel wie Staub in den Spinnweben. Diese Fotos aber erinnern uns schlagend und unmittelbar an etwas, das sich von selbst verstehen sollte, das wir aber egozentrisch immer von neuem vergessen: dass die Menschen früherer Zeiten in ihrer Zeit genau so lebendig waren wie wir heute.

"Urlaub und Freizeit in der DDR", Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR Eisenhüttenstadt, bis 13. September. Info: Tel.: 03364/417355; www. alltagskultur-ddr.de

Foto: Jenoptik Digital Camera

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