Urbanistik:Nicht ganz dicht

Matzig, Gerhard

Drei von vier Menschen wohnen bald in Städten. Das heißt auch, dass es enger werden muss, wenn das Zusammenleben funktionieren soll.

Von Gerhard Matzig

Die Stadt, eine jahrtausendealte Erfindung, war stets umstritten. Lewis Mumford zufolge kann man darin die "wichtigste Errungenschaft der Zivilisation" sehen. Man kann es aber auch mit Bert Brecht halten, der schrieb: "Von diesen Städten wird bleiben: der durch sie hindurchging, der Wind!"

Beide Stimmen, das Hohelied der Stadt wie auch die Horrorvision von ihrem Elend, gehören zu einer Ära, die von den Vereinten Nationen als "urban millennium" bezeichnet wird. Die damit gemeinte "Verstädterung" ist ein unumkehrbarer Prozess. Laut UN werden in absehbarer Zeit drei von vier Menschen in hochverdichteten Zonen leben.

Doch nicht nur Städte werden größer, der Streit um die Stadt und ihre Weiterentwicklung wird es auch. Immer öfter entzündet er sich an der Frage, wie viel Dichte einer Stadt guttut. In München, dessen Oberbürgermeister Dieter Reiter gerade eine Initiative der "Nachverdichtung" anführt, ist die Kontroverse besonders vital. Kein Wunder: Es ist die dichteste Stadt Deutschlands. Andere Städte können davon lernen, denn das Problem kennt man auch in Frankfurt, Stuttgart oder Köln, es gilt für alle Ballungszentren. Die Diskussion um die Dichte muss überall dort geführt werden, wo Wohnungsnot herrscht. Wo Wohnraum fehlt, gerät er - Angebot und Nachfrage - zum gesellschaftlich exkludierenden Mittel. Wohnraum ist aber ein Menschenrecht.

Auch deshalb kann man die verblüffende Initiative von Barbara Hendricks als Bundesbauministerin nur begrüßen. Die Aktionen von Reiter und anderen Stadtverantwortlichen basieren darauf. Hendricks hat vor einigen Tagen die Reform des Baurechts in Aussicht gestellt. Neben den bisher bekannten Stadtraumgebilden - Gewerbegebiet, Mischgebiet und Wohngebiet - soll es "urbane Gebiete" geben. Solche Zonen haben geringere Abstandsflächen und insgesamt höhere Dichten. Überhöhte Baustandards - etwa überzogener Sicht- und Lärmschutz - könnten abgesenkt werden. Der bisher stark reglementierte Wohnungsbau könnte damit belebt werden.

Das ist eine gute Idee, die nebenher auch den ideologischen Unsinn der "Charta von Athen" beerdigt. Damals, 1933, wurden Städte zergliedert. Arbeit, Freizeit und das Wohnen wurden räumlich getrennt. Das Ergebnis: öde Schlafstädte und fataler Pendelverkehr. Urbanität ist aber das genaue Gegenteil, nämlich eine hochverdichtete Stadt der kurzen Wege. Das Problem ist nun: Die Menschen haben Angst vor dem Zusammenrücken und (wieder) engeren Nachbarschaften. Mit Blick auf ein furchtbares deutsches Hobby, den Nachbarschaftskrieg, könnte man sich dieser Angst anschließen.

Das wäre falsch, denn die Stadt ist ja die Idee der Dichte. Konzentration ist ihr Gencode. Nur Dichte führt auf ökonomische Weise zu Infrastruktur, Kultureinrichtungen, ärztlicher Versorgung, Handel, Integration . . . und außerdem ist die Ökobilanz einer Stadt wie München (4668 Einwohner je Quadratkilometer) in Relation besser als die von Tuntenhausen (102). Nichts gegen Tuntenhausen. Wer aber in die Stadt zieht, der sollte sich klarmachen: Der weite, stille Horizont und das Idyll ziehen nicht mit.

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