Unter Termindruck:"Jede Geburt tut weh"

Nach jahrelangen Debatten wird hart am Humboldt-Forum im Berliner Schloss gearbeitet. Der radikale Umbau hat dramatische Folgen für die Museen.

Von Jörg Häntzschel

Warum interessiert sich niemand für das Humboldt-Forum? Ist doch klar, heißt es in Berlin. Wer jahrelang gegen eine Autobahn kämpft, kümmere sich, wenn sie am Ende gebaut wird, nicht um die Gestaltung von Grünstreifen und Leitplanke. Die Autobahn, das ist nach dieser Analogie das Berliner Schloss, dessen Betonrohbau gerade barock kostümiert wird. Grünstreifen und Leitplanke, sie sind das Humboldt-Forum, das seit 18 Jahren beredete, 600 Millionen Euro teure, größte bundesdeutsche Kulturprojekt seit Jahrzehnten: der "kulturelle Inkubator für Weltverständnis" (Frank-Walter Steinmeier), das "Kultur- und Welterfahrungszentrum, in dem die Würde der Menschen und die Gleichberechtigung der Kulturen" gezeigt werden (Klaus-Dieter Lehmann), ein Projekt, vom dem eine "neue menschheitliche Bewusstseinsbildung" und eine "unerhörte Steigerung der vitalen Kräfte dieser Stadt und unseres Landes" ausgehen (Horst Köhler). Vielen erscheint es so verkorkst und überflüssig wie das Haus, in dem es unterkommen soll.

"Ein Museum, wie es es bisher gab, wird es im Humboldt-Forum nicht geben", so Horst Bredekamp

Neil MacGregor, 70, der frühere Direktor des British Museum, ist kein Schloss-Fan, aber ihn quält die Assoziation von Behälter und Inhalt nicht mehr. Strahlend schaut er aus dem Werbebau, der "Humboldt-Box", zu den Gerüsten hinüber und bekennt, wie "erquickend", wie "hinreißend" er seine Arbeit finde. Dass er so guter Dinge ist, könnte auch daran liegen, dass er erst seit ein paar Tagen wieder in der Stadt ist und bald wieder geht. Vor zwei Jahren inthronisierte ihn die Kulturstaatsministerin Monika Grütters als "Gründungsintendant". In Wahrheit hat er nur einen Beratervertrag, der Ende des Jahres erneuert werden muss. Pro Monat ist er zehn Tage in Berlin, den Rest der Zeit arbeitet er für ein Museum in Bombay und für die BBC.

Viel hat man nicht gehört von ihm und den beiden anderen Mitgliedern der "Gründungsintendanz", dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp, 69, und Hermann Parzinger, 58, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). Der letzte große Auftritt war im November. Doch statt wie erwartet endlich ein Konzept zu verkünden, eröffneten sie in der Humboldt-Box eine betuliche Ausstellung zu Humboldt-Strom und Plastikmüll. Man zuckte ratlos mit den Schultern. Viele hoffen nun, das Humboldt-Forum bleibe für immer im Zustand des Werdens.

Doch sie täuschen sich. Die Verantwortlichen verhüllen das Projekt zwar noch immer mit der gewohnten Unverbindlichkeitsrhetorik. Doch nicht, weil sie nichts zu sagen haben, sondern weil sie sich vor den Konsequenzen fürchten. Nach all den Sonntagsreden, Kommissionssitzungen, Podiumsdiskussionen wird erstmals hart am Humboldt-Forum gearbeitet. Unklar ist nur, so Bredekamp, "ob wir das alles nervlich überleben".

Unklar ist auch, ob die beteiligten Institutionen es überleben werden. Am meisten zu verlieren hat beim radikalen Umbau, der nun im Gange ist, ausgerechnet das Ethnologische Museum, das größte Völkerkundemuseum der Welt. Bislang wurde es immer als das geführt, was in amerikanischen Malls der "Anchor" ist, das Kaufhaus, um das die kleineren Läden gruppiert sind. Gemeinsam mit dem Museum für Asiatische Kunst war es der stabile und konkrete Posten eines ständig wechselnden Menüs. Welt der Sprachen? Zentral- und Landesbibliothek? Agora? Sie wurden inzwischen alle ersetzt: Durch Räume der Humboldt-Universität, deren Pläne erst im Mai verraten werden; durch eine Berlin-Ausstellung, die der vor Kurzem aus Amsterdam zugezogene Chef des Stadtmuseums Paul Spies aus dem Boden stampft; durch die "Humboldt-Akademie", wie das Besucherzentrum pompös heißt. Nur das Ethnologische Museum blieb.

Doch das Forum "wird keine Mall", erklärt die Kulturstaatsministerin Monika Grütters der SZ, sondern ein "Haus aus einem Guss". Das Ethnologische Museum wurde de facto zum bloßen Leihgeber degradiert, für Ausstellungen, die mit Ethnologie mal mehr, mal aber auch nichts zu tun haben und in denen ebenso Exponate aus dem Naturkunde-, dem Verkehrsmuseum, dem Botanischen Garten oder aus den Häusern der Museumsinsel gezeigt werden. "Ein Museum, wie es es bisher gab, wird es im Humboldt-Forum nicht geben", so Bredekamp. Grütters: "Es wird sich nicht mehr um ein klassisches, herkömmliches Museum handeln", eher um ein "Kultur- und Bildungsangebot neuen Typs".

Wie günstig, meint sie, dass beide Direktoren der Dahlemer Museen bald in Rente gehen. Die Stelle von Viola König, der Direktorin des Ethnologischen Museums, wird nach langem Streit zwischen Bundeskulturbehörde und SPK demnächst neu ausgeschrieben, als "Direktor/-in Sammlungen im Humboldt Forum". Der Nachfolger müsse keineswegs Ethnologe sein, da er ja, ginge es nach ihr, für die Berlin-Ausstellung und die der Humboldt-Uni ebenso zuständig sei. Dass Parzinger nun dafür wirbt, den alten Standort Dahlem als "Forschungscampus" zu erhalten, ist für die Ethnologen ein schwacher Trost.

Ein Gutes hatte das Humboldt-Forum bereits. Es half, eine überfällige Debatte um die Gräueltaten in Gang zu bringen, die Deutschland in der Kolonialzeit begangen hat. Und darum, wie mit Artefakten umzugehen ist, die man damals erbeutete. Erst kürzlich erinnerte Parzinger an den von deutschen Truppen niedergeschlagenen Maji-Maji-Aufstand. Die Dahlemer Ethnologen bemühen sich um Austausch mit Vertretern der Herkunftsländer, laden Gastkuratoren ein. Auch in der Berlin-Ausstellung wird es darum gehen. Kritikern wie dem Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer oder der Initiative No Humboldt reicht das nicht. Die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und der Versuch der Wiedergutmachung sollen Dreh- und Angelpunkt des ganzen Projekts werden.

Auch Bredekamp will deutsche Gräueltaten aufklären, doch vom "Dialog der Kulturen" will er nichts wissen. Er sei sich mit MacGregor einig: Das sei nur "Kitsch, der bestehende Dichotomien zementiert", "die letzte Karte der intellektuellen Kolonialherrschaft, weil sie unsere westliche Kultur wieder als ethisch überlegen darstellt: Wir büßen."

Welche Änderungen Neil MacGregor wünscht, ist oft schwer zu erraten

Er will sich mit etwas anderem beschäftigen: mit "Problemen und Möglichkeiten, die die Welt in ihrer Gesamtheit betreffen". So, wie die Humboldt-Brüder es vorgemacht haben. In dieser neuen global und transdisziplinär denkenden Institution seien alle gefragt, "unabhängig ob ich im Museum für Verkehr oder im Weltmuseum in Darmstadt oder in der Kunsthalle in Hamburg sitze oder ein Spezialist für Südkorea bin. Bisher war das alles verboten. Bei uns steht alles unter dem Motto: Why not?" Ein Beispiel sei die für die Humboldt-Box geplante Ausstellung zum Thema Gold, für die Geologen, Sinologen, Wirtschaftswissenschaftler und Materialforscher zusammenarbeiten. Ja, auch Ethnologen.

Je mehr von diesen radikalen Plänen aus der Stadtmitte nach Dahlem durchdringt, desto empörter ist man. Seit 2008 arbeiten die dortigen Kuratoren, die alle nicht genannt werden wollen, an ihrer Ausstellung. Wöchentlich trafen sie sich mit Parzinger, den Gestaltern, den Architekten, schoben die Einbäume, Buschhütten und Totempfähle in den Modellen herum.

Einfach war es nicht: Während Grütters' Vorgänger im Kulturministerium sie hängen ließen, ignorierten die Macher vom Bauministerium ihre Einwände gegen unnötige Säulen, wechselnde Deckenhöhen und Räume, in denen man ihre größten und schönsten Exponate nur von oben sehen kann.

Unter Termindruck: So soll das Humboldt-Forum aussehen, wenn die Bauarbeiten vollendet sind.

So soll das Humboldt-Forum aussehen, wenn die Bauarbeiten vollendet sind.

(Foto: Humboldtforum Foundation)

Sie freuten sich, als Grütters das Jahrhundertprojekt zur Chefsache machte. Doch MacGregor war nicht zufrieden mit ihren Plänen. Er hatte ganz anderes vor. Nun muss sich das Humboldt-Forum schon zwei Jahre vor der Eröffnung mit der Last seiner plötzlich zur Vergangenheit gewordenen Zukunft herumschlagen. So was gelingt wohl nur in Deutschland. Grütters machte 26,8 Millionen Euro für die Umplanung locker. Doch trotz des Geldes ist nur Flickwerk möglich. Parzinger spricht besänftigend von "szenografischer Überarbeitung" und "inhaltlicher Optimierung", um "ohne allzu großen Aufwand den Aspekt Natur noch in die Module einzubinden". Doch wird den Kuratoren zufolge ein Drittel der Ausstellungsfläche neu geplant. Dafür bleiben nur noch Wochen, dann sind keine Revisionen mehr möglich.

Welche Änderungen MacGregor wünscht, ist oft schwer zu erraten. Er bittet um mehr Exponate aus dem Naturkundemuseum und dem Botanischen Garten, doch die Ethnologen kennen deren Bestände kaum. Und die Naturwissenschaftler, die eilig angestellt werden sollen, haben ihre Jobs noch nicht angetreten. "Sollen wir etwa eine ausgestopfte Giraffe reinstellen?", fragt eine frustrierte Mitarbeiterin.

Manche Ausstellungsteile werden gestrichen, um Platz für Wechselausstellungen zu schaffen. Doch dann stimmt die Gesamterzählung nicht mehr. Zwei Module beschäftigten sich etwa mit dem amerikanischen Nordwesten. Im ersten ging es um einen deutschen Sammler, der dort im 19. Jahrhundert sein Unwesen trieb. Im zweiten um die heutige Situation der lokalen Indianervölker. Nun wurde der zweite Teil gestrichen, doch ohne seinen Gegenpol habe der historische Part keinen Sinn, sagen die Kuratoren. Ihren Ärger kann Bredekamp verstehen: "Jede Geburt tut weh", meint er. "Es wird etwas Gewohntes in etwas Ungewisses überführt, da gehen die Alarmglocken an." Doch die Sorge, man vertröste das Museum mit der Dahlemer Wissenschaftsenklave, der Rest werde sich auflösen in einem "Edutainment-Center" Unter den Linden, weist er barsch zurück. "Wer sagt, im Humboldt-Forum werde das Wissenschaftliche eher reduziert, der hat das nicht begriffen. Die Wissenschaft beginnt jetzt! Wer sich dem entgegenstellt, sorry, der bekommt ein Problem, in dem Punkt sind wir konzessionslos."

Dass die deutsche Öffentlichkeit noch nicht wirklich Feuer gefangen hat, schiebt er deren "tiefsitzender Vernagelung in den eigenen Ideologien" zu. Dabei ist ja unübersehbar, wie scheu die Verantwortlichen geworden sind. Mit jeder Äußerung riskieren sie neue zeitraubende Debatten. Und auch die von Grütters durchgesetzte Zwangsharmonie des Trios ist in Gefahr. Während Bredekamp den Humboldt-Kult pflegt, warnt Parzinger vor dessen "Heroisierung". Während MacGregor brav "den Bürger für die Zukunft in der Welt vorbereiten" will, träumt Bredekamp davon, "die Grundfragen der Bestimmung des Menschen im Kosmos experimentell darzustellen".

"Wir sprechen mit verteilten Rollen", erklärt er die Dissonanzen. Doch es sind ja nicht nur Rollen: MacGregor ist der gütige Bildungsonkel, der noch die Zumutungen deutscher Konsensmanie "genießt", was leichter fällt, wenn man bald wieder im Flieger sitzt. Parzinger ist der Diplomat und Judo-Meister, der mit stählerner Disziplin auf Zeit spielt. Bredekamp schließlich ist Chefideologe und vielleicht der Einzige in ganz Deutschland, der für dieses Projekt glüht. Und über allem schwebt Grütters, die Diotima dieser Parallelaktion.

Unter Termindruck: Eine Illustration des Schlüterhofs am Berliner Schloss.

Eine Illustration des Schlüterhofs am Berliner Schloss.

(Foto: Humboldtforum Foundation)

Doch aus ihrer öffentlichen Zurückhaltung spricht vor allem das Bangen darum, ob sich das Konzept jetzt noch umsetzen lässt. "Wir versuchen", "wir hoffen", "wir wollen", heißt es immer. Parzinger bittet, "dem Projekt eine faire Chance" zu geben, als handele es sich um ein fragiles Off-Experiment, nicht das Kulturflaggschiff der Nation. Spricht man Bredekamp auf die Altbackenheit der Ausstellung an, wehrt er genervt ab: "Die Ausstellung war eine Spontanidee, Herrschaft!" Doch auch er fürchtet: "Es wird ein Kompromiss werden." Die Idee von der "Ausstellung als Prozess" kommt ihnen nun sehr gelegen. "Solvitur ambulando", ist MacGregors Losung: Erst mal eröffnen. Was dann nicht funktioniert, kann man immer noch ändern.

Unabhängig vom Zeitdruck halten die Ethnologen MacGregors Kultur-Natur-Konzept für oberflächlich. Er sei zwar auf dem richtigen Weg, denke jedoch zu kurz. Alexander von Humboldt habe die Bedeutung der Natur für die Kultur dieser Völker verstanden, doch vom westlichen Naturbegriff habe er sich nicht gelöst. "Feuer, Wasser, Erdbeben oder der Wind sind für viele dieser Völker genauso lebendig wie jeder Organismus." Vor allem aber verwechsle MacGregor Humboldts interdisziplinären Ansatz mit dem nicht-westlichen Denken, in dem der Dualismus von Natur und Kultur nicht existiere. Wer die kulturellen Artefakte dieser Völker nun in der Wechselwirkung mit Klima oder Vegetation zeige, beharre auf der Trennung von Natur und Kultur. Wer es ernst meine mit der "Multiperspektivität", dem Prinzip, dem MacGregor offenbar folge, "muss erst mal vergessen, was Europäer unter Natur verstehen".

Was für eine merkwürdige deutsche Geschichte: Man baut ein Schloss wieder auf, ohne zu wissen, was hinein soll. Man glaubt, Berlins "leere Mitte" füllen zu müssen, und wird nun irre an dem Druck, der auf dem Ort lastet. Man sehnt sich nach Größe und wird verfolgt von Scham. Man verschwendet Jahre und ringt nun um Wochen. Man will zu Welt und Zukunft, aber nimmt den Umweg über einen Deutschen aus dem 19. Jahrhundert. Man hat Visionen bestellt und erlebt nur Verstrickung.

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