Unter Freunden:Jenseits des Narzissmus

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Für die Romantiker war die Freundschaft ein Ideal, der Inbegriff einer Seelenverwandtschaft. Was aber ist daraus im Facebook-Zeitalter geworden? Der Publizist Björn Vedder erkundet unsere digitale Freundschaftskultur.

Von Björn Hayer

Für die Romantiker war sie ein Ideal, der Inbegriff einer Seelenverwandtschaft. Freundschaft fußte auf Treue, Verantwortung sowie gemeinsamen Werten. Und heute? In einer Epoche, in der sich ein Teil der Menschheit munter im Tinder-Wischen ergeht und Verbindungen in sozialen Netzwerken eher sammelt als pflegt? Zwar gilt für viele das Motto: Facebook-Bekanntschaften hat man nie genug. Aber welchen Bestand haben solche Beziehungen heute?

Es ist allzu einfach, in der digitalen Gesellschaft in den Chor der Untergangspropheten einzustimmen, die das Ende der Tiefe und Innigkeit in menschlichen Gemeinschaften verkünden. Der 1976 geborene Publizist und Kurator Björn Vedder tut dies zum Glück nicht. Stattdessen versucht er in seiner essayistischen Studie "Neue Freunde. Über Freundschaft in Zeiten von Facebook" einen differenzierten Blick auf uns und unsere Nächsten zu werfen.

Dabei geht er durchaus schonungslos mit traditionellen Modellen ins Gericht: Wer etwa glaubt, dass wir - ganz im Sinne der antiken Vorstellung - unsere Freunde aufgrund eines ähnlichen Moralkodex aussuchen, der irrt wohl.

Ein gewisses Maß an Fremdheit und Distanz tut Freundschaften gut

Denn Freundschaften verstehen sich heute, so Vedders Analyse, vor allem als Nutzverhältnisse, die zur Befriedigung von Bedürfnissen beitragen. Um etwa ein Selbstwertgefühl zu generieren, ja, um uns selbst zu lieben, bedürfen wir des Zuspruchs durch den anderen. Dafür tauschen wir Hilfsdienste aus, spielen unterschiedliche Rollen.

Freundschaft steht für Vedder, der sich an Eva Illouz' Analyse der modernen Liebe anlehnt, im Zeichen einer funktionalistischen Ökonomie. Dass sich das Tummeln bei Facebook gut ins Bild fügt, veranlasst ihn schließlich dazu, auch die dort geschlossenen Freundschaften "wahre" Freundschaften zu nennen.

Ausführlich geht er auf die "Logik des Aufmerksamkeitsmarktes" ein, auf den Selbstbestätigungshype durch Likes, Likes und wieder Likes. Er zwinge "den Benutzer, sein Profil so zu behandeln wie ein Unternehmen sein Produkt, das er am Markt platzieren will."

Der Autor steht der Tendenz zur Vermarktung keineswegs naiv bejahend gegenüber. Mehrfach beschwört er die Gefahr der Egozentrik. Zu viel Selbstbezogenheit lasse die Bedeutung des anderen schwinden. Um dem entgegenzuwirken und "aus Narzissten wenigstens halbwegs anständige Menschen" zu machen, entwickelt Vedder im zweiten Teil seines Buches recht apodiktische Vorschläge. Plädiert wird anhand von (oftmals sehr beliebigen) Beispieltexten aus Literatur und Philosophie für mehr Bescheidenheit, Höflichkeit und Mitleid.

Schön und gut, denkt sich der Leser. Jene ziemlich banalen Tipps für ein Mehr an Aufrichtigkeit zeugen eher von Einfallslosigkeit als von ernsthafter Vision. Wirklich neue Erkenntnisse mag diese Studie weniger hervorbringen, zumal Norbert Bolz, Byung-Chul Han oder Roberto Simanowski bereits ähnliche Essays zur digitalen Beziehungskultur vorgelegt haben. Hinzu kommt, dass Vedder immer wieder seinen Fokus aus den Augen verliert, mal trotz verschiedener Abgrenzungen von Liebe, dann wieder von Freundschaft spricht.

Auch wenn dieser Band somit nicht den großen Wurf darstellt, ruft er manche Einsicht ins Bewusstsein, die tatsächlich wertvoll für eine spätmoderne, kapitalistische Gesellschaft sein könnte. Zum Beispiel entlarvt er den Irrglauben, zu viel Intimität, wie sie bekanntermaßen sehr schnell auf sozialen Netzwerken hergestellt wird, trage zu umso festeren Bindungen bei. Vielmehr sei ein bestimmtes Maß an Fremdheit und Distanz nötig. Nur so könne die krankhafte Ich-Bezogenheit in der engsten Spiegelung im Du verhindert werden. Produktiv ist ebenso die Einsicht in die Notwendigkeit gemeinsamer Narrative und Symbole. Angesichts der Überkommunikation in den neuen Medien verspricht gerade die Entwicklung eigener Erzählungen unter Freunden möglicherweise die von vielen ersehnte Stabilität gegenwärtiger Lebensverhältnisse. Hierin entsteht Raum für Gemeinsames, auch jenseits der Egokultur.

Björn Vedder: Neue Freunde. Über Freundschaft in Zeiten von Facebook. transcript Verlag, Bielefeld 2017. 200 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 20,99 Euro.

© SZ vom 27.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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