"Unter dem Regenbogen" im Kino:Himmel voller Geigen

"Unter dem Regenbogen"

"Unter dem Regenbogen" - Märchen kollidiert mit Wirklichkeit.

(Foto: THIERRY VALLETOUX; Jean Garcin/ Film Kino Text)

Agnès Jaouis "Unter dem Regenbogen" ist visuell ein Märchenfilm geworden, voll verlorener Schuhe und Hexenhäuschen im Wald. Im Kern aber geht es dann um das genaue Gegenteil.

Von Susan Vahabzadeh

Ein richtiger Kerl kennt keine Furcht. Pierre (Jean-Pierre Bacri) wird nach der Beerdigung seines Vaters von seiner Ex-Frau dankenswerterweise auf ein Datum hingewiesen, das er schon vergessen hatte: In drei Monaten soll er sterben - so hat es den beiden vor Jahrzehnten eine Wahrsagerin prophezeit. So ein Unfug, brummt er, und schiebt dann beim Abendessen mit seiner Freundin und deren Töchtern noch hinterher, sein Vater sei keineswegs im Himmel, sondern in der Kiste, die morgens auf dem Friedhof verscharrt wurde. So weit, so rational, und Punkt! Pierre sitzt in einer Falle fest, die er sich selbst gezimmert hat: Es geht ihm entsetzlich schlecht, weil er natürlich doch Angst hat, aber kann aber mit keinem Menschen mehr darüber reden.

Die Geschichte, die Agnès Jaoui in ihrem vierten Film seit "Der Geschmack der anderen" (2000) erzählt, handelt nun von diesen drei Monaten. Das Drehbuch hat sie mit Bacri zusammen geschrieben, wie fast alles, was sie anpackt - schon 1993 verfassten die beiden gemeinsam "Smoking / No smoking" für Alain Resnais. "Unter dem Regenbogen" ist visuell nun ein Märchenfilm geworden, voller wunderschöner, wohldosierter Surrealitäten, verlorener Schuhe, Hexenhäuschen im Wald, verfremdeter Bilder und Kameraperspektiven, in denen die Menschen zu Riesen werden und die Welt um sie herum zu Liliput. Im Kern aber geht es dann um das genaue Gegenteil: um die nüchterne Erkenntnis, dass alle märchenhaften Träume mit der Wirklichkeit kollidieren.

Dem bösen Wolf in die Arme

Pierres Sohn Sandro (Arthur Dupont) studiert Musik am Konservatorium, und auf einem Studenten-Ball verknallt er sich in ein Mädchen, Laura (Agathe Bonitzer), Tochter eines Politikers. Der Himmel hängt den beiden voller Geigen, sie beschließen ganz schnell, sich zu verloben. Frisch verliebt sein - das ist das einzig märchenhaft Schöne, was das Leben zu bieten hat. Laura läuft prompt auf dem Weg zu ihrer Tante dem bösen Wolf in die Arme - Maxim Wolf, Konzertveranstalter. Dieser macht sich dann prompt an Laura heranmacht und bringt Sandro dazu, für eine Chance als Komponist seinen besten Freund zu verraten.

Das ist eine traurige, witzig erzählte Geschichte. Die Besonderheit an diesem Film sind aber die beiden Figuren, die sich Jaoui und Bacri für sich selbst geschrieben haben. Für ihn ist es der furchtlose, unglückliche Pierre - und für sie eine Lieblingstante der jungen Verlobten, Marianne heißt sie. Bei der ersten Begegnung der beiden Familien lernen sich auch diese alten Seelen kennen, für die alle Träumereien eigentlich schon gelaufen sind.

Marianne hat ihren Mann verlassen, lebt mit ihrer störrischen Teenie-Tochter im Hexenhaus - sie tut gern so, als könnte sie alles allein. Was selten stimmt, denn sie kann weder Wasserhähne reparieren noch Auto fahren. Pierre gibt ihr Stunden, und die beiden zusammen sind das eigentlich Herzstück des Films: Wenn sie einander ihre Geheimnisse beichten, stecken ein paar wunderbare Beobachtungen über Männer und Frauen in diesen Szenen. Keiner bekommt Kommunikationsstörungen etwa so rührend komisch hin wie Bacri - ihm zuzusehen, wie er sich in Macho-Allüren windet und dann letztlich immer wieder zusammenbricht, ist herzerweichend.

Wären alle Männer Prinzen und alle Frauen Feen, wäre das Märchen allerdings: langweilig. Einmal fragt Marianne Pierre quietschfidel am Ende einer Stunde, ob sie den Wagen noch mal in die Parklücke fahren soll. Er grummelt vor sich hin, in seinem Gesicht kann man sehen, wie er abwägt, was die am wenigsten anstrengende Antwort sein könnte. Wenn sie dann aussteigt, sieht man, dass der halbe Wagen aus der Parklücke heraushängt. Die Antwort, für die er sich entschieden hat, war: Nee, passt schon.

Au bout du conte, F 2013 - Regie: Agnès Jaoui. Buch: Jaoui und Jean-Pierre Bacri. Kamera: Lubomir Bakchev. Mit: Jaoui, Bacri, Agathe Bonitzer, Arthur Dupont. Film Kino Text, 112 Minuten.

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