Unseld-Berkéwicz und Suhrkamp:Neuerfindung gesucht

  • Ulla Unseld-Berkéwicz zieht sich aus der Leitung von Suhrkamp zurück.
  • Sie macht den Weg frei für Jonathan Landgrebe, den neuen alleinigen Vorstand.
  • Landgrebe soll den Verlag in die Zukunft führen in einer Zeit, in der die Buchbranche im Umbruch ist.

Von Lothar Müller

Es hat lange gedauert, bis dieser Scheitelpunkt erreicht wurde, aber nun ist es so weit. Die Überführung des Suhrkamp Verlags in die Rechtsform einer Aktiengesellschaft ist vollzogen. Die bisherige Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz zieht sich aus dem operativen Geschäft zurück und wird Vorsitzende des Aufsichtsrats. Ihr Nachfolger an der Verlagsspitze wird als alleiniger Vorstand der Suhrkamp AG Jonathan Landgrebe, der seit 2008 kaufmännischer Geschäftsführer des Verlags ist.

Und nicht zuletzt: Es tritt in dem Ehepaar Ulrich und Sylvia Ströher, das den Verlag schon in den zurückliegenden Krisenjahren finanziell unterstützt hat, ein neuer Aktionär in die AG ein, und dieser neue Aktionär ist sehr vermögend. Im Jahr 2003 haben die Ströhers ihren Anteil an der Kosmetik-Firma Wella für 3,2 Milliarden Euro an einen amerikanischen Konzern verkauft.

Prozesse, Urteile, Revisionen

Lange war die Zukunft des Suhrkamp Verlags unklar, vielleicht hat er auch deshalb im zurückliegenden Krisenjahrzehnt in immer neuen Publikationen seine Vergangenheit als Rettungsanker beschworen, bis hin zum großen Prachtband über Siegfried Unseld im vergangenen Jahr. Jetzt, an diesem Scheitelpunkt, steht der Verlag vor der Aufgabe, die viele Helden des modernen Romans kennen: die Zukunft zu finden, die von der Herkunft nicht festgelegt ist.

Der Blick vom Scheitelpunkt zurück fällt auf Prozesse, Urteile, Revisionen, zähe Stellungskriege der Gesellschafter des Suhrkamp Verlags. Siegfried Unseld, der 2002 starb, war ökonomisch wie im Blick auf die Rechtsstruktur des Verlags, nicht alleiniger Herr im Hause gewesen. Nach seinem Tod gingen die Minderheitsanteile in den Besitz der Medienholding Hans Barlachs über. Dessen Versuche, die Geschäftsführung um Ulla Unseld-Berkéwicz zu entmachten, scheiterten erst vor wenigen Wochen mit der Abweisung seiner Klage gegen die Umwandlung des Verlags in eine Aktiengesellschaft.

Der Hintergrund dieser Umwandlung aber war das im Jahr 2013 beantragte Insolvenzverfahren. Unter diesem "Schutzschirm-Verfahren" hat die bisherige Geschäftsführung um Ulla Unseld-Berkéwicz erreicht, was sie wollte: die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Die ökonomische Zukunft aber ist nicht schon durch diese neue Rechtsform gesichert. Denn der Verlag bewirtschaftet ein höchst kompliziertes Gut, Bücher, mit denen nicht erst in jüngster Zeit hohe Renditen kaum zu erzielen sind. Und Bücher wiederum gibt es nur, wenn Autoren sie schreiben.

Ulla Unseld-Berkéwicz hat als Verlagsleiterin im Jahrzehnt nach dem Tod von Siegfried Unseld manchen Mitarbeiter im Verlag verloren, aber es ist ihr gelungen, die Mehrheit der Autoren zu gewinnen. Einer der prominentesten, Hans Magnus Enzensberger, gehört neben Gerhart Baum und Marie Warburg dem dreiköpfigen Gründungsaufsichtsrat der Suhrkamp AG an. Er wird nun durch Unseld-Berkéwicz, eine noch unbekannte Person und Sylvia Ströher ersetzt.

Sylvia Ströher, die Urenkelin von Franz Ströher, der im Jahr 1880 die Firma Wella gründete, hat mit ihrem Mann eine viele Hundert Werke umfassende Sammlung zeitgenössischer Kunst zusammengetragen, mit Arbeiten von Anselm Kiefer, Georg Baselitz und Jörg Immendorff. Renommiert haben Sylvia und Ulrich Ströher damit allerdings kaum, und auch in ihrem Engagement für Suhrkamp sind sie bislang öffentlich nicht aufgetreten. Ein Gewinninteresse, so heißt es, verbinde sich für das Ehepaar damit nicht.

Was bedeutet ein Bekenntnis zur "Suhrkamp Kultur"?

Der Presseerklärung des Suhrkamp Verlags ist ein Statement von Sylvia Ströher beigefügt, in dem es heißt: "Wir freuen uns sehr, diesen bedeutenden Verlag als unabhängige Instanz der Literatur und der Geisteswissenschaften zu erhalten. Unser Engagement für Suhrkamp ist unbefristet und dient der weiteren Zukunftsfähigkeit des Verlags. Eine Einflussnahme auf die Verlagspolitik ist nicht Gegenstand unserer Vereinbarung. Die Beteiligung an der Suhrkamp AG liegt außerhalb unserer sonstigen Anlagestrategie und ist somit auch mit keiner Dividendenerwartung verbunden."

Eine Botschaft dieser Erklärung ist deutlich: Von uns sind, anders als von Hans Barlach, keine Störmanöver zu erwarten. Diese Grundgarantie bewirkt, dass der Blick des neuen Verlagsleiters Jonathan Landgrebe in die Zukunft gehen kann. Er ist 1977 in Hamburg geboren, und Ulla Unseld-Berkéwicz hebt gern hervor, dass einer seiner Großväter der Philosoph Ludwig Landgrebe war und der in Paris lebende Autor Georges-Arthur Goldschmidt sein Großonkel ist. Ebenso wichtig ist, dass er 2006 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München über "Liberalisierung und Regulierungsmanagement im Telekommunikationsmarkt" (2006) promoviert und sich im Hause Suhrkamp durch seine Vertrautheit mit den Märkten der Digitalisierung und durch die Führung des Amtes empfohlen hat, das ihm anvertraut war: als kaufmännischer Geschäftsführer.

Literatur als Kunst, ein aktuelles Krisenfeld

In einem "Geschäftsleitungsgremium" werden Jonathan Landgrebe künftig der Cheflektor Raimund Fellinger, die Pressesprecherin Tanja Postpischil und der kaufmännische Leiter Gerhard Schneider an der Seite stehen. Der bisherige Mit-Geschäftsführer Thomas Sparr wird "Editor at large". Aber entscheidend wird sein, wie Landgrebe sich als Verleger neu erfindet. Die Ära Unseld - mit ihren Nachwehen - ist nun bei Suhrkamp beendet, allenthalben ist die Branche - nicht nur wegen der Digitalisierung - im Umbruch.

Ulla Unseld-Berkéwicz verabschiedet sich nach einem Herbst, in dem der Verlag in Lutz Seiler den Träger des Deutschen Buchpreises stellte, der mit seinem Roman "Kruso" die Bestsellerlisten eroberte. Aber was Sylvia Ströher sich wünscht - "Suhrkamp als Instanz der Literatur und Geisteswissenschaften zu bewahren" - und damit dem neuen Verleger als Aufgabe stellt, ist nicht eben leicht zu bewerkstelligen. Es gilt, das Bekenntnis zur "Suhrkamp Kultur" in eine fortwährende Definition zu verwandeln. Doch was heißt das in Zeiten, in denen der Verlag Autoren wie Don Winslow oder Teju Cole gewonnen und schon wieder verloren hat?

Diese Notwendigkeit der Selbstdefinition gilt auch für das Amt, das Jonathan Landgrebe nun antritt. Ob in den Konzernverlagen oder den eigenständigen Verlagen mittlerer Größe, überall findet derzeit dieser Prozess der Neudefinition statt. Barbara Laugwitz ist seit September 2014 Chefin des Rowohlt Verlags, als Nachfolgerin von Alexander Fest. Bei Hanser ist Jo Lendle auf Michael Krüger gefolgt.

"Literatur als Kunst" hieß vor Jahrzehnten eine Reihe bei Hanser. Der Titel benennt ein aktuelles Krisenfeld. Nicht, dass die Autoren diesen Anspruch aufgegeben hätten. Aber im öffentlichen Reden über Literatur ist es oft so, dass sie allenfalls dann gefragt ist, wenn sich an ihr etwas demonstrieren lässt, bei dem man zugleich von ihrer Innenwelt, den Formen absehen kann: ein Skandal, ein Hype, ein heißer Stoff.

Die diskursiven Echoräume, von denen die Literatur umgeben ist, sind nicht kleiner geworden, aber sie haben sich strukturell verändert. Das Buch, das darüber berichtet, ist noch nicht geschrieben. Es müsste ein Nachfolger eines Suhrkamp-Titels sein, des "Strukturwandels der Öffentlichkeit" von Jürgen Habermas. Wie verhält sich die klassische Öffentlichkeit, von de er handelte, zum aktuellen Patchwork der "communities"? Das geisteswissenschaftliche Buch, hierzulande mit dem Label "Sachbuch" geschlagen (ach, wie klug sind die Angelsachsen, dass sie "non fiction" sagen), ist zugleich ein Kern der "Suhrkamp Kultur" und ein aktuelles Sorgenkind. Man lese nur den Schwerpunkt dazu im aktuellen Heft der Zeitschrift Merkur oder die zur Leipziger Messe erscheinende Bestandsaufnahme Michael Hagners "Zur Sache des Buches".

Jonathan Landgrebe steht am Scheitelpunkt der Nach-Unseld-Ära. Es kann nur gut sein für die deutsche Literaturlandschaft, wenn ihm die Neuerfindung als Verleger gelingt.

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